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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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deklarieren. Das zog Kreise! Immer mehr Kreise! Daran werde das Reich zugrunde gehen, Schmelz begriff es so richtig erst hier im Saal. Das begann schon bei den einfachen Sturmmännern der Wachbrigaden der Konzentrationslager, die Goldklumpen nach Hause schickten, die aus den Zähnen der toten Häftlinge gemacht worden waren. Überall, in jedem Menschen fand sich die Bereitschaft zur Korruption! Es war ein Kampf gegen Windmühlen.
    Man schaue doch nur auf den Lebensmittelgroßhändler Schulz, der erst dann in die SS eingetreten sei, als er eine Deckung für seine schwarzen Geschäfte gebraucht habe! Sicher, der Erbprinz hatte Recht, die einzige Möglichkeit war, dass Ehrenmänner an der Spitze stehen, doch war gerade diese Spitze von Verbrechern der skrupellosesten Sorte durchsetzt. Sogar der Anführer war im Knast gewesen! Und sogar der Erbprinz war an der Ermordung des SA Führers beteiligt gewesen!
    War die SS nichts weiter als eine Mafia, wie es sie schon seit langer Zeit in Süditalien gab? Und war er selbst vielleicht nur ein Mafiajäger? Für einen kleinen Moment verließ Doktor Kurt Schmelz jeglicher Mut. Er stützte sich schwer aufs Geländer des Zeugenstands und sah Ende an, der zu Piepenbrock sagte: „Wenn dem nicht so ist und Sie keine Erklärung vorbringen können, so schlage ich vor, hören wir dem Zeugen doch weiter bei seinen Ausführungen zu. – Fahren Sie fort, Doktor Schmelz.“
    „Ja, also, bei den vielen Verhören, die wir in den letzten achtzehn Monaten vorgenommen haben, konnte das Ehepaar Koch also die Herkunft des Reichtums nicht erklären. Sie waren in keinem Punkt geständig, obwohl die Beweislast doch erdrückend war. Erdrückend war und ist. Wir beließen es aber nicht beim Vorwurf der Unterschlagung, alsbald wurde uns klar, dass die Korruption nur die Spitze des Eisbergs war, und das ist ja ein Wesensmerkmal von Korruption, dass sie immer, immer, andere Verbrechen nach sich zieht, die dann oftmals noch schlimmer und niederträchtiger sind!“
    „Noch schlimmer?“, warf der Ankläger, Chefrichter Breithaupt, wie auf Verabredung ein: „Noch schlimmer und niederträchtiger?“
    „Aber ja! Es kam der Vorwurf des vorsätzlichen Mordes hinzu!“, sagte Schmelz und hielt einen Moment inne, in dem Breithaupt wie aus der Kanone geschossen schrie: „Mord?“
    Die Anwesenden schreckten zusammen und fühlten sich ertappt, und es waren nicht wenige, die sich in diesem Augenblick kleiner machten, die froh zu sein schienen, wie Liebig meinte, auf der Besucherbank zu sitzen. Vielleicht, dachte er, dient der Prozess ja wenigstens dazu, dass die da alle in der Folgezeit ein wenig gemäßigter agieren.
    „Wir suchten nach Beweisen, dass Karl Koch aus niedrigen Motiven heraus gemordet hat oder dass er das Morden befohlen hat, um die Unterschlagung zu vertuschen“, sagte Schmelz und sah kurz zu Breithaupt.
    Der Staatsanwalt stand auf, stützte sich mit beiden Händen auf die Tischplatte, beugte sich ein wenig nach vorne und fragte mit einem Beben in der Stimme: „Und?“
    „Wir fanden Beweise!“
    „Was? Sie fanden Beweise?“
    „Wir fanden Beweise dafür, dass der Hauptangeklagte Morde befahl!“
    „Dafür fanden Sie Beweise? Aber das ist ja erschütternd!“
    „Ja, das ist es in der Tat! Ein Handlanger von Karl Koch gestand, in Hunderten von Fällen auf Befehl von Karl Koch hin gemordet zu haben. Es handelt sich hierbei um all die Tötungen, die in den Lagerbüchern mit der Notiz ‚auf der Flucht erschossen‘ versehen sind! – Ausschnitte aus den Büchern liegen dem hohen Gericht vor.“
    Breithaupt setzte sich und sah den Verteidiger schweigend an, der dem Blick lange Zeit nicht auswich. Dann lehnte sich Piepenbrock zurück und sagte: „Sehr schönes Schauspiel! Mein Respekt! Doch werden Sie alleine mit der Kunst der Schauspielerei hier im Gerichtssaal leider nicht bestehen können.“
    „Martin Sommer hat all diese Mordfälle gestanden!“, sagte Schmelz gelassen: „Er belastet Karl Koch, der Anstifter zu sein. Das Motiv ist glasklar. Ich bin überzeugt, dass SS Standartenführer Karl Koch während seiner Zeit als Lagerkommandant von Buchenwald Hunderte von Gefangenen entweder selbst getötet hat oder deren Tötungen befohlen hat. Jeder Häftling, der eine Zeitlang von seinen kriminellen Machenschaften profitierte oder auch nur davon wusste, wurde irgendwann umgelegt. Koch verstand es, die Mittäter der Unterschlagung nie soviel wissen zu lassen, dass sie ihm gefährlich werden

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