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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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blieb ein echter Ermittlungsrichter, der auch in Krakau an seinem Plan festhielt und zunächst alle Strafakten nach Unterschlagungsdelikten durchsuchte, so er auch beinahe sofort auf eine Feldpostnummer stieß, über deren Einheit sich laufend beschwert wurde, während die SS an diesem Tage verfügte, ab sofort sollen die Juden in allen eroberten Gebieten gut sichtbar einen gelben Stern tragen.
    Am dreißigsten Oktober neununddreißig gab SS Richter Doktor Kurt Schmelz den folgenreichen Befehl, alle Akten, in denen diese Feldpostnummer auftauchte, zusammenzutragen, egal ob sie bereits bearbeitet worden waren oder nicht. Mit einem Kribbeln in der Magengegend schrieb er auf ein Blatt weißes Papier den Namen dieser Einheit: ‚Brigade Dirlewanger‘.
    Mein Großvater brauchte einen großen Fall und er würde ihn auch bekommen, war er sich sicher, während zur gleichen Zeit in den USA der Schriftsteller Raymond Chandler mit ‚Der große Schlaf‘ den Kriminalroman revolutionierte.
    Schon am nächsten Tag lag der Stapel vor ihm. Er war fünfzig Zentimeter hoch und beinhaltete hauptsächlich Beschwerden. Beschwerden über Misshandlung, Raub, Diebstahl, Erpressung, Vergewaltigung, Rassenschande. Beschwerden, die aus der polnischen Bevölkerung kamen, aus der deutschen und sogar von Mitgliedern der Waffen SS und der Allgemeinen SS. Selbst Wehrmachtsangehörige hatten sich beschwert. Kurt Schmelz runzelte die Stirn. So viele unterschiedliche Leute? Die konnten ja nicht alle lügen! So viele verschiedene Delikte? Die konnten ja alle gar nicht ausgedacht sein!
    Er sah von den Akten auf und fragte seinen Sekretär: „Also, was haben Sie erfahren? Was treibt diese Brigade Dirlewanger so?“
    „Straßenbau in den neuen Gebieten.“
    „Straßen? – Sie wollen mich verarschen!“
    „Nein, Obersturmführer, gewiss nicht. Diese Brigade scheint nicht zur Wehrmacht zu gehören. Sie ist auch keine SS Einheit. Dennoch ist sie direkt Obergruppenführer Berger in Berlin unterstellt.“
    „Geben Sie her!“, sagte Schmelz und überflog die spärlichen Notizen: „Das gibt’s doch gar nicht. Zu was gehört der Haufen denn dann, wenn er weder zur Wehrmacht noch zur SS gehört?“
    „Es hat den Anschein, es handele sich da um eine Art Privatarmee von Obergruppenführer Berger, so verrückt das auch klingen mag, Obersturmführer.“
    „Privatarmee? Mit was für einem Auftrag? Wofür ist Berger zuständig? Überprüfen Sie das“, sagte Schmelz: „Wegtreten – und danke für die fixe Lieferung!“
    Verdutzt sah sich der Sekretär um, galt es doch als verpönt, zu Untergebenen nett zu sein. Noch nie hatte ein Offizier sich bei ihm bedankt! Was war dieser Schmelz denn für ein Vogel? Er nickte mechanisch und verließ das Arbeitszimmer.
    Schmelz jedoch hatte sein Ziel erreicht. Treue entstehe aus Dankbarkeit, hatte er während seiner Arbeit für die Stettiner Werft gelernt, und Freundlichkeit mache dankbar und koste nichts. Er wollte sich seine Männer selbst erziehen, bis sie ihm treu ergeben waren, und glaubte, den richtigen Weg gefunden zu haben. Angst blockiere das Denken von Untergebenen, Dankbarkeit setze es frei, und freies Denken sei nützlicher als blockiertes, meinte er und widmete sich erneut den Akten.
    Straßenarbeiter, die räuberisch durch Städte ziehen und sich in Wäldern verstecken, dachte er, das klingt nach einem sehr schlechten Scherz. Und weder die SS noch die Wehrmacht sind zuständig? Standort Lublin, wo liegt denn dieses Lublin? Ach da! Zum Glück, dort bin ich ja noch zuständig.
    Er ließ sich mit dem Lubliner Leiter der Gestapostelle verbinden und wartete.
    „Hauptsturmführer Müller!“, hörte er plötzlich und kam kaum noch zu Wort, nachdem er den Namen Dirlewanger ausgesprochen hatte: „Eine echte Landplage ist das! Das ist eine Landplage, wie sie im Buche steht. Die mit den Heuschrecken, die meine ich, Obersturmführer. Dieser Dirlewanger benimmt sich hier wie die Axt im Walde! Schlimmer! Viel schlimmer! Wie die Axt im Walde in der Hand eines Irren! Eines Irren! Ich kann Ihnen Sachen erzählen, die werden Sie nicht glauben. Schlimme Sachen, ganz und gar schlimme Sachen, aber wir kommen nicht ran an ihn. Wir haben keinerlei Handhabe gegen Dirlewanger und seine Brigade, gar keine.“
    „Sollten Sie mir erzählen, Hauptsturmführer, ich bin die Tage sowieso in der Gegend“, log Schmelz: „Zum Beispiel morgen früh? Acht Uhr? In Ihrem Büro?“
    „Einverstanden, einverstanden! Ich wollte selbst schon

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