Letzte Haut - Roman
ersten Stein, der noch niemals etwas unterschlagen habe, sagte er sich, treu einer der Bibelgeschichten.
Jede verschwundene Tasse suchte er und freute sich, wenn er sie in einem der Spinde der SS Leute fand. Jedes entwendete Messer spürte er auf. Er prüfte die Ausgabelisten der Munition und verglich sie mit der Anzahl der Hülsen auf den Schießständen. Kurt Schmelz überprüfte die Kriegsbeute mit den Protokollen über sie und erkannte Ungeheuerliches. Nicht einer der SS Männer, der nichts genommen hatte! Sie waren alle schuldig im Sinne der Paragraphen des Reichsstrafgesetzbuches, aber nicht nur in deren Sinne, sondern auch dem Treuebündnis der SS handelten sie zuwider. So gut wie jeder SS Mann war unehrenhaft und ein schnöder Dieb. Er habe sie alle, wie er später sagte, am Arsch gehabt. Das ganze Zweite SS Regiment.
Jede Unterschlagung meldete er gewissenhaft ins Reichssicherheitshauptamt nach Berlin. In der Prinz Albrecht Straße werde seine Arbeit und vor allem sein Name schon irgendwann auffallen, meinte er, wenn er sie mit Hinweisen bombardiere. Er war jung, und der Ehrgeiz machte ihn blind für die Gefahr.
Kurt Schmelz verfolgte sein Ziel, doch weit kam er nicht. Nur drei Wochen später wurde er zum Regimentschef zitiert, der ihm erklärte, er habe keine Verwendung für ‚Kameradenschweine‘ wie ihn, die sich auf Kosten Anderer profilieren wollen.
Ich gehe doch nur den Unterschlagungshinweisen nach.
Nein, Sie sind selbst korrupt! Sie wollen Ihren Reibach mit dem Leben von Kameraden machen.
Ich spüre nur Korruption auf, damit unser Reich an diesem gefräßigen Tier nicht zugrunde geht.
Sie sind ein Spinner, Doktor Schmelz. Ich will Sie hier nicht haben. Sie werden mit sofortiger Wirkung ins besetzte Krakau versetzt. Dort sind Sie als SS Richter tätig. Auf Wunsch des Chefrichters. Wie es scheint, haben Sie in Berlin schon Wirkung erreicht. Also, nur weg aus meinem Bereich, ich kann hier keine Unruhe gebrauchen. Viel Glück, weg, weg, weg, Abmarsch!
Und als mein Großvater am fünfundzwanzigsten Oktober aufbrach, um sich im an diesem Tage erst geschaffenen Gau Warthe, das die Gebiete um Warschau, Krakau, Radom und Lublin umfasste, zum Dienst zu melden, hatte er erreicht, was er wollte. Er hatte den Kontakt zum Chefrichter hergestellt, und er war nicht länger einer von vielen. Er stach heraus, er galt als Korruptionsjäger und war zum Ermittlungsrichter ohne besonderen Aufgabenbereich ernannt worden. Die gesamte SS war für ihn nun einsehbar, und er selbst war nur sich gegenüber verantwortlich.
Dennoch, er brauchte den einen großen Fall! Die Politik der kleinen Nadelstiche war fürs erste erfolgreich gewesen, aber um wirklich Eindruck zu schinden, musste Kurt Schmelz einen Treffer landen! Einen Torpedotreffer! Mit dieser Hoffnung nahm er Besitz von einem großen und hellen Arbeitszimmer, das sich direkt am Dom befand. Er stand am Fenster und blickte zur Kathedrale hinüber.
Sein Büro befand sich in der ehemaligen Stadtkämmerei am Domplatz, der wie die gesamte Stadt nicht zerstört worden war, hatten die Einwohner doch aus Mangel an Zeit keinerlei Verteidigungsmaßnahmen mehr tätigen können und die Stadt Krakau kampflos übergeben.
Es waren damals etwa zehn Millionen Juden und Polen, die im Gau Warthe zusammengetrieben worden waren, das nur achtundneunzigtausend Quadratkilometer klein war. Was wurde aus dem Besitztum dieser vielen Menschen? Mein Großvater hatte alle Hände voll zu tun, dies herauszufinden. Er musste niemandem in Krakau Rechenschaft ablegen und ermittelte in alle Richtungen, doch war er nach seinem Erlebnis in Posen vorsichtiger geworden.
Dort hatte er sich zwar als Mitglied der Waffen SS und als ermittelnder Beamter sicher gefühlt, jedoch war er von Spionen der Gestapo überwacht worden. Sie öffneten seine Briefe, werteten sein Handeln sorgsam aus, gaben ihm schließlich ein Schimpfwort als Spitznamen und meldeten ihn dem Regimentschef, der unverzüglich dafür sorgte, dass Kurt Schmelz versetzt wurde.
Der Chef konnte schlecht sagen, ich habe hier einen Mann, der bei uns für Unruhe sorgt. Nein, so konnte der Regimentschef es nicht darstellen, also lobte er meinen Großvater über den grünen Klee, und prompt wurde er befördert und an eine kriegswichtigere Stelle versetzt. Kurt Schmelz galt ab sofort als politisch unzuverlässig aber als unbestechlich und vertrauenswürdig im Bezug auf das Gesetzbuch. Er wurde der erste offizielle Korruptionsjäger in der SS.
Er
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