Letzte Haut - Roman
keine Sorgen, dachte er und schrak zusammen, als der Untersturmführer Mittenmang mit fester Stimme, die sich Schmelz angenehm ins Ohr legte, verkündete: „Ich brauche keinen Verteidiger, und es bedarf keines Anklägers, Herr Richter. Ich will aussagen, nichts als die Wahrheit, und ich will Ihnen alles beichten und mich ganz und gar in Ihre Gnade geben, Herr Richter, denn ich bin gewiss, Sie werden verstehen und das Richtige tun. Ich lege mich in ihre schützenden Hände, wie ein scheues Reh sich dem Unterholz anvertraut. Herr Richter, ich habe die Ehre beschmutzt.“
Donnerwetter, dachte Schmelz immer besser gelaunt, der hat es aber drauf. Punkt für dich, Mittenmang, Punkt für dich.
„Also gut“, sagte er: „Mir soll es recht sein, wenn wir diese Sache abkürzen können. Erklären Sie sich also.“
„Am dreiundzwanzigsten Mai wurde ich schwer verwundet von der Front ins Spital geschafft. Später erfuhr ich, dass die Ärzte siebzehn Tage lang hart und aufopferungsvoll um mein Leben gekämpft haben, und als ich endlich die Augen öffnete, sah ich zuerst ins Gesicht einer jungen Krankenschwester, die mich anlächelte. Ich konnte nicht wissen, dass sie eine Polin war. Ich hielt sie für meine Lebensretterin und verliebte mich auf der Stelle in sie.
Partisanen haben mir sieben Splitter entlang der Wirbelsäule gesetzt, dass ich nicht querschnittsgelähmt bin, ist ein Wunder. Drei steckten in der Wirbelsäule, vier hatten sie angekratzt, Herr Richter, ich muss wohl noch etwas zu erledigen haben in diesem Leben.
Eine andere Schwester sagte mir, die Ärzte hatten am Ende keine große Hoffnung mehr in mich gesetzt, und dass ich heute hier vor Ihnen stehen kann, tief bereuend und wieder völlig hergerichtet, das muss ja dann wohl auch ein Wunder sein. Dank unserem Herren, Jesus Christus!“
„Keine Glaubensbekenntnisse im Gerichtssaal! Das ist verboten! Eigentlich müsste ich Sie hart dafür bestrafen, aber da Sie sich selbst verteidigen, verwarne ich Sie hiermit scharf“, sagte Schmelz, der bemerkt hatte, dass der Untersturmführer jedes Wort sorgsam setzte und die Wirkung der auswendig gelernten Rede an anderer Stelle getestet haben musste. Die Beobachter nickten hier und da bekräftigend und ernst, und Schmelz überkam eine Rührung, als er feststellte, wie hier eine ganze Truppe um einen von ihnen kämpfte. Um ihre heilige Mitte, oder war es lediglich echte Freundschaft? Schmelz fiel es schwer, sich zu konzentrieren, viel lieber hätte er dieses Thema verfolgt, aber er durfte hier nicht versagen! Er musste hart und gerecht bleiben.
Er räusperte sich und sagte: „Also, weiter, Untersturmführer Mittenmang, weiter im Text.“
Ob auch diese Unterbrechung eingeplant gewesen war? Sicher, sicherlich hatten sie zusammen nächtelang ausgetüftelt, wie der Richter auf ihre Seite gezogen werden könne. Ein gezielter Ausbruch ins Religiöse könne da als Appell bestimmt nicht schaden. So hatten sie bestimmt gedacht, na ja, und es war ja auch aufgegangen. Schmelz nagte leicht an der Unterlippe, um nicht lächeln zu müssen, während der Angeklagte fortfuhr: „Ja, entschuldigen Sie bitte, Herr Richter, ich bin Katholik, und es liegt mir einfach im Blut. Bitte bedenken Sie, vor ein paar Monaten noch war ich ein toter Mann!“
„Ja, ja“, sagte Schmelz: „Sagen Sie, gibt es unter Ihren Freunden Jurastudenten?“
Sofort senkte sich ein halbes Dutzend Augenpaare, während der Angeklagte überrascht und wie ertappt reagierte: „Wieso?“
Seine Stimme war hochgefahren, als hätte sie sich auf eine heiße Herdplatte gesetzt, und Schmelz fühlte sich bestätigt, ehe er milder als gewollt sagte: „Ich stelle hier die Fragen. Beenden Sie Ihren Vortrag also.“
Vorsichtig hoben sich die Augenpaare wieder. Untersturmführer Mittenmang fuhr fort: „Ja, das kam dann so, ich war, also, war wieder so völlig hergestellt und potent wie noch nie im Leben, und ich gehe hier in Krakau im Park spazieren, um vollendend einsatzfähig zu werden und um mich erneut der deutschen Sache verpflichten zu können, als ich am Parktor ankomme und mich dort auf eine der Bänke setze, um noch einmal durch zu schnaufen. Und wie ich so hochsehe, da steht sie neben mir, die Krankenschwester, von der ich noch immer nicht wusste, dass sie Polin war. Sie lächelte zurück und setzte sich neben mich, und, ja, also, Herr Richter, da war es um mich geschehen. Ich war verrückt geworden, und diese Verrücktheit nenne ich Liebe! Verstehen Sie mich?
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