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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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was unternehmen, habe aber sofort aus Berlin was auf die Finger gekriegt. Der Dirlewanger muss dort mächtige Freunde haben, sehr mächtige, aber Sie haben ja als Richter da ganz andere Möglichkeiten, ganz andere! Bessere, viel bessere! Kommen Sie nur her.“
    Gerührt legte Schmelz auf, nachdem sie sich verabschiedet hatten, und sah auf das weiße Blatt, auf dem sich nun unter, neben und über der Notiz ‚Brigade Dirlewanger‘ Ausrufezeichen aller Art befanden. Große, lange, fette, schmale; übersät mit diesen Zeichen sehe das Blatt aus wie der Gewinnschein einer Pferdewette, meinte er.
    Er rief den Sekretär und teilte ihm mit, ab sofort sollen alle Briefe, Pakete und Päckchen mit der Feldpostnummer der Dirlewangerbrigade zurückgehalten werden. Nichts solle mehr in die Heimat gelangen, alles solle hier gelagert werden, er wolle es sich selbst ansehen.
    Ob er dazu legitimiert sei, fragte der Sekretär, woraufhin Schmelz erklärte, er sei SS Ermittlungsrichter, der in alle Richtungen vorstoße, und somit sei er zuständig für alles und für jeden innerhalb der SS. „Noch Fragen?“, beendete er seinen Vortrag.
    Der Sekretär schüttelte den Kopf, bereute, sich eingemischt zu haben, und setzte Schmelz davon in Kenntnis, dass in wenigen Minuten der Prozess gegen SS Untersturmführer Mittenmang zur Verhandlung anstehe. „Ich habe die Akten bereits zusammengetragen“, bemühte der Sekretär sich, verlorenes Terrain wieder zurückzugewinnen: „Sie liegen dort auf dem Beistelltisch.“
    Und wieder erhielt er einen Dank ausgesprochen, ein Glück! Was kümmerten ihn denn da noch schriftliche Befehle! Wenn der Richter meinte, er sei befugt, dann war er es eben auch! Was soll’s, soll er sich doch ruhig einmal diese Brigade genauer ansehen. Der Sekretär nickte und verschwand wortlos aus dem Zimmer, während Schmelz aufstand, sich streckte und einige Minuten aus dem Fenster sah. Ein geschäftiges Treiben da unten auf dem Domplatz. Wie schnell hier doch alles deutsch geworden war. Kaum noch Einheimische. Und was sich wohl in all den Lastwagen befand, die dauernd abfuhren? Tausend Arme müsste man haben, um all den Korruptionsverdächtigungen nachzugehen. Tausend Arme? Selbst mit tausend Armen war eine solche Untersuchung nicht zu bewältigen! Schmelz schüttelte den Kopf. Zu schaffen war das ja alles doch nicht. Zehntausende von Lastwagen, die allein aus Krakau täglich abfuhren, und wie viele Lieferscheine gab es dagegen? Gerade einmal viertausend! Viertausend. Schmelz strich sich mit beiden Händen übers Gesicht, seufzte auf und beschloss, nachher in den Dom zu gehen und sich für die glückliche Fügung zu bedanken, die ihn hierher gebracht hatte.
    Warum kamen die meisten Gläubigen auch immer erst in die Kirche, wenn sie sich etwas erbetteln wollten? Nein, Schmelz war sich da sicher, man solle ins Gotteshaus gehen, wenn es einem gut gehe. Dann bekomme der liebe Herrgott einen gutgelaunten Schmelz zu Besuch, der sich ihm dann auch viel besser einpräge als all die leidenden, ängstlichen, flehenden, betenden Verzweifelten. Sich einfach mal bei ihm zu bedanken, das sei ganz sicher eine gute Investition in die Zukunft, meinte Doktor Kurt Schmelz, riss sich vom Anblick des Doms los und ging mit den Akten unterm Arm in die ehemalige Kantine der Stadtkämmerei, die zum Gerichtssaal umfunktioniert worden war.
    An der Stirnseite des Saals standen drei lange Tische nebeneinander, an deren Mitte Schmelz als verhandelnder Richter Platz nahm. Hinter ihm befand sich die nun leere und nur notdürftig verhängte Essensausgabe, und über ihr hing ein Porträt des Anführers der Deutschen. Schmelz war in gehobener Stimmung. Freundlich warf er den Anwesenden Blicke zu.
    Vor der Tischreihe standen vier Stuhlreihen, die zur Hälfte gefüllt waren. Fast alle Beobachter waren junge Offiziere, und Schmelz mutmaßte, es seien Freunde des Angeklagten.
    Die Fensterfront war mit schwarzem Tuch verhüllt und an der gegenüberliegenden Seite hing die nationalsozialistische Flagge.
    „Meine Herren“, fragte Schmelz: „Sind wir soweit?“
    Bis auf die Beobachter nickten alle Anwesenden, und Schmelz fragte den Schreiber, wo denn die Verteidigung sei. Bisher hatte er den Blick auf den Angeklagten vermieden, doch nun musterte er ihn genau.
    Und während der Schreiber erklärte, der Angeklagte wolle sich selbst verteidigen, hielt dieser Schmelz’ durchdringendem Blick stand. Doktor Schmelz blickte tief in die grünen Augen des

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