Letzte Haut - Roman
und diese Meerenge zu erobern, das sei die nächste Aufgabe der Division Wiking. Die Festung Sewastopol müsse vom Nachschub abgeschnitten werden, es werde wohl so kommen, dass man den Feind in seiner Seefestung aushungern müsse, die Einnahme dieser uralten, unbesiegbaren Burg sei nicht zu bewerkstelligen, meinte Hauptsturmführer Mann, der schon im ersten Krieg gegen die Franzosen gekämpft hatte: „Sewastopol gilt als die perfekte Festung! Aber die Herren in Berlin wollen davon ja nichts wissen! Wir werden uns die Zähne hier ausbeißen, jeder, der ein wenig etwas von Kriegsführung versteht, der weiß das, aber die Herren in Berlin, die sehen nur das Öl! Sicher, wenn wir die Ölfelder hier haben, dann können wir schnell weiter marschieren, dann brauchen wir nicht immer auf Nachschub aus Deutschland zu warten. Wenn wir diese Ölfelder hier erobern, dann sind wir tatsächlich unbesiegbar, aber Grass, das verteufelte Wort an der Sache, das ist dieses Wenn! Sie wissen über die Wörter Bescheid, Sie wissen, was ich meine!“
„Jawohl, Hauptsturmführer, wenn das Wörtchen ‚wenn‘ nicht wär, dann wär mein Vater Millionär! – Ein altes Sprichwort aus Pommern.“
„Genau! – Also, Grass, freut mich immer Sie zu sehen! Das nächste Mal dann am Meer!“, sagte der Hauptsturmführer, ehe er Befehl gab, die Position des Nachtlagers einzunehmen.
„Jawohl, Hauptsturmführer Mann, dann am Meer!“, gab Rottenführer Grass zurück, ließ seine Einheit antreten, und zusammen marschierten die knapp tausend Einheiten, die sich auf dem Markt gesammelt hatten, zum Stadtrand, um einige Stunden Schlaf vor dem Gewaltmarsch zu bekommen, der sie in den Morgenstunden erwartete.
Die Hausruinen wirkten in der Schwärze der regengeschwängerten Nacht wie Zahnstümpfe, die auf die Straßen zu fallen drohten. Ein Maul, das noch immer alles verschlingen könne, meinte Rottenführer Grass, was sich auf seiner Zunge befinde.
Ab und an hörten die Männer das Einstürzen und Zusammenbrechen von Häusern, aber es kümmerte sie nicht. Sie wussten sich von Wachmannschaften beschützt, die die Umgebung sicherten, und auch als sie einzelne Schüsse hörten, nahmen sie zwar die Gewehre unaufgefordert in Anschlag, aber sie stoben nicht auseinander, nicht wegen dieser wenigen, vereinzelten Schüsse.
Die leisen und lauten Gespräche versiegten, die Freude am Überleben wich einer tiefen Müdigkeit, die Einheiten erreichten den Platz, an dem sie lagern sollten, die Männer warfen das Gepäck ab, schlugen die Planen auf, deckten sich mit ihnen zu und schliefen schnell ein, während sich Regentropfen in Schneeflocken verwandelten.
Sturmmann Schmelz wälzte sich auf die Seite, steckte die Hände flach zwischen die Schenkel, legte den Kopf auf den Stahlhelm, zog einen Arm so gut er konnte übers Gesicht und schnarchte kurz darauf. Er schlief tief und traumlos, erschöpft, selbst halbtot, tief erschöpft von all den Morden, die er wie in Trance begangen hatte, und auch unter der Last der Morde, die zu schultern ihm noch bevorstand, schlief er erschöpft.
Mit einem Fußtritt wurde er kurz vor vier geweckt; er schrie laut auf und fuhr hoch.
Rottenführer Grass stand über ihm, grinste zu ihm herunter und sagte: „Abflug! – Heute wirst du ein Mann! Wenn du diesen Gewaltmarsch überlebst, Schmelz, dann kann dir nichts mehr passieren! Dann wird dich alle Welt respektieren, egal in welche Kneipe du kommst, denn überall wird man ein geschundenes Gesicht sehen. Und so ein Gesicht ist das Einzige, vor dem man Respekt haben sollte. Schönheit vergeht, Männlichkeit entsteht! – Also, raffe dich!“
„Wieso? Wie weit ist es eigentlich bis zu diesem Meer?“
„Man sagt, hundert Kilometer, aber wer die Praxis hier kennt, der weiß, dass man solche Angaben getrost verdoppeln kann.“
„Zweihundert Kilometer? Zu Fuß?“
„Zweihundertdreißig, um es genau zu nehmen, und morgen Abend müssen wir spätestens da sein, um mit Booten zu dieser Straße von Kertsch gebracht werden zu können, die wir dann im Handstreich eindeutschen werden. Oder etwa nicht, Sturmmann Schmelz?“
„Zweihundertdreißig Kilometer zu Fuß? – Das schaffe ich niemals!“
„Wer zurückbleibt, wird erschossen, Kamerad, und, Schmelz, dich brauche ich! Dich brauche ich einfach in diesem verdammten Babel! – Also wirst du es schaffen!“
„Aber nicht in zwei Tagen! Rottenführer, geben sie mir zwei Jahre, und wir können darüber reden“, sagte Sturmmann Schmelz
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