Letzte Instanz
hätte ich angenommen, sie wäre die
Treppe hinuntergefallen und hätte sich das Genick gebrochen. Ich konnte keine
Wunde erkennen...
Moment, da war sie. Am Hals. Ein
einziger Stich in die Schlagader. Kein Wunder, daß das Blut gespritzt war. Der
Mörder — oder die Mörderin — mußte von oben bis unten voller Blut sein.
Im Haus war es still — eine Stille, die
mir sagte, daß niemand sonst hier war. Ich ging vorsichtig um Melissas Körper
herum und stieg hinauf in ihr Apartment. Die Tür stand offen. Sie war also
hinuntergegangen, um jemandem aufzumachen.
Auf dem Tisch neben dem Sessel stand
ein Telefon. Meine Karte steckte noch unter dem Lampenfuß. Sie hatte
Fingerspuren, als hätte sie mit dem Gedanken gespielt, mich anzurufen. Ich hob
den Hörer ab und wählte die Nummer der Mordkommission. Wallace saß an seinem
Platz. Er sagte, er werde die Streife schicken und gleich mit Adah Joslyn
nachkommen. Ich legte auf, knipste die Lampe an und sah mich im Zimmer um.
Als erstes entdeckte ich Melissas große
weiße Katze. Sie kauerte unter dem großen Schrank. Ich zog das Tier hervor und
streichelte es. Es befreite sich aus meinem Griff und verschwand wieder unter
dem Schrank. Also ließ ich es, wo es sich sicher fühlte.
Als ich mich aufrichtete, fiel mein
Blick auf die Gegenstände in der Vitrine. Ich sah sie mir näher an. Die
Tierfiguren waren kein Kitsch, wie ich zuerst angenommen hatte, sondern
geschmackvoll und teuer ausgesuchte Stücke, wie man sie an den Verkaufsständen
von Museen sieht. Und sie waren, entgegen meinem ersten Eindruck, nicht gerade
erst abgestaubt. Vielmehr lag eine Staubschicht auf dem steinernen Seelöwen,
der Katze mexikanischer Volkskunst, der goldenen Schnecke mit geschliffenem
Kristallgehäuse, den Elfenbeinschildkröten, den feinen Porzellanhunden und den
holzgeschnitzten Dschungel-Raubtieren. Ein großes Jadekaninchen mit Hängeohren
und in die Luft gereckter Nase war ein Stück verrückt worden und hatte so
winzige Fußabdrücke hinterlassen.
Eine wertvolle Sammlung für eine Frau,
die von Sozialhilfe und einer Invaliditätsrente lebte, dachte ich. Melissa
hatte wohl sonst sehr wenig für sich ausgegeben. Doch auch dann mußte sie noch
eine zusätzliche Geldquelle gehabt haben, um sich eine solche Sammlung leisten
zu können. Vielleicht waren ihre kürzlichen Erpressungsversuche nicht die
einzigen gewesen...
Draußen hörte ich die erste Welle der
Gesetzeshüter heranschwappen und ging ihnen entgegen. Melissas Körper wirkte
jetzt seltsam geschrumpft, als hätte die Gegenwart der Polizei ihre Überreste
veranlaßt, sich möglichst aus dem Staub zu machen. Als ich mich an ihr
vorbeischob, spürte ich ein Bedauern. Denn es war bereits, als wäre sie schon
lange tot. Bald würden die Spuren ihrer Existenz ganz ausradiert sein. Das
einzige, was von ihr blieb, waren dann die totgeborenen Tierfiguren, die sich
in den Antiquitätengeschäften wiederfänden, und eine lebendige Katze, die im
Tierheim landete.
Draußen wies ich mich gegenüber den
Streifenpolizisten aus und nannte ihnen die wichtigsten Details. Sie baten
mich, im Streifenwagen auf Wallace und Joslyn zu warten. Ich folgte ihnen und
setzte mich bei offener Tür hinein, die Füße auf dem Pflaster. Ein zweites
Einsatzfahrzeug parkte hinter mir ein. Anwohner kamen jetzt auf die Straße. Als
Wallace’ Zivilfahrzeug auftauchte, stieg ich aus und winkte.
Adah Joslyn lief zum Haus und sprach
mit einem der Uniformierten. Wallace kam auf mich zu. »Gehörte sie zu den
Spuren, die Sie verfolgten?« fragte er und zeigte hinter Adah her.
»Ja. Melissa Cardinal war eine der
Frauen, die das Apartment in North Beach mit Cordy McKittridge teilten.«
Er sah sich nach seiner Kollegin um,
die jetzt ins Haus trat. »Können Sie sich irgendeinen Reim auf das Ganze
machen?«
»Ja.« Ich erzählte ihm von Louise
Wingfield, die möglicherweise Enrique Chavez angeheuert hatte, um Lis Benedict
und mich zu belästigen — und vielleicht auch Melissa.
»Ich gebe eine Fahndung nach Chavez und
Wingfield heraus.«
»Wenn Sie schon einmal dran sind, dann
auch noch eine nach Tony Nueva. Er wird in San Diego wegen einer
Drogengeschichte gesucht und weiß vielleicht mehr über die Sache mit Chavez,
als er mir erzählt hat.«
Bart Wallace schrieb auf, was ich ihm
über Nueva sagen konnte, und folgte Adah Joslyn ins Haus.
Ich lehnte mich gegen den Streifenwagen
und beobachtete den allzu vertrauten Ablauf der Dinge. Adah kam aus dem
Gebäude,
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