Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
erkannte ich den Sound von Charlie
Parkers Altsaxophon. Mooney sah ein wenig angetrunken oder angetörnt aus. Nach
einem kurzen Zögern strahlte er mich an. »Tut mir leid«, sagte ich, »Sie so
spät zu belästigen. Aber ich habe da etwas, das Sie sich bitte ansehen
sollten.«
    »Keine Stunde ist zu spät für eine Frau
wie Sie.« Die Eleganz seines tiefen Dieners verlor etwas durch sein Torkeln
gegen den Türrahmen. Er richtete sich wieder gerade auf und seufzte: »Sie
sehen, warum ich bei Vertreterinnen des schöneren Geschlechts nie besonderen
Erfolg hatte.«
    Ich lächelte und folgte seinen
wackeligen Schritten ins Wohnzimmer. Er drehte Charlie Parker leiser und goß
mir, ohne zu fragen, ein Glas Chianti aus einer fast leeren Flasche ein, die
neben der Kerzenflasche auf demTisch stand. Wir setzten uns wieder auf das
Sitzkissen.
    »Sie sehen blaß und müde aus«, sagte
Mooney. »Trinken Sie.«
    Ich nahm einen kleinen Schluck und
spürte die Wärme, nahm mir aber vor, nicht mehr zu trinken. Mein Dinner hatte
aus ein paar im Auto verzehrten Schokoriegeln bestanden, und auch das war schon
lange her.
    »Was wollten Sie mir denn zeigen?«
setzte Mooney hinzu.
    Ich zog das Foto aus Melissas
Kaninchen-Vase aus der Tasche und reichte es ihm. »Kennen Sie diese Leute?«
    Er hielt es nahe an die Kerze und
studierte es aufmerksam. Nach ungefähr fünfzehn Sekunden sagte er: »Das ist
natürlich Cordy McKittridge. Und Roger Woods.« Er zeigte auf den dunkelhaarigen
Mann neben Louise Wingfield.
    Ich hatte gehofft, daß er den Mann als
den identifizieren würde, den er zusammen mit Cordy im Unspeakable gesehen
hatte. Dies war nun noch interessanter. Denn dieser Roger Woods, der
Parteikommunist, war zu Besuch in diesem rechtslastigen, sicherheitsbewußten
Institut gewesen. Auf wessen Einladung? Louise Wingfields? Es sah so aus, aber
Louise behauptete, von einem Stiefbruder Melissas überhaupt nichts gewußt zu
haben.
    »Sind Sie ganz sicher, daß es Woods
ist?« fragte ich Mooney.
    »O ja.« Er nickte. »Er ist viel besser
gekleidet als bei seinen Besuchen in meinem Kaffeehaus, aber es ist eindeutig
Roger.«
    »Was ist mit den anderen Leuten auf dem
Bild? Haben Sie von denen mal einen im Unspeakable gesehen?«
    »Das kann ich nicht mit Sicherheit
sagen. Einige kommen mir bekannt vor, weil heute abend Fotos von ihnen im Examiner waren, im Vorbericht zu dem Historischen Tribunal am Wochenende. Ich hätte mich
gefreut, wenn Sie mir bei Ihrem ersten Besuch gesagt hätten, daß Sie dort
mitarbeiten. Es wäre schön für mich gewesen zu wissen, daß ich an etwas...
Wichtigem beteiligt war.«
    Er klang so wehmütig, daß ich sagte:
»Ich entschuldige mich dafür. Um es wiedergutzumachen, besorge ich Ihnen einen
Platz ganz vorn im Verhandlungssaal. Vielleicht brauchen wir Sie am Sonntag
auch als Zeugen, der Woods identifiziert, wenn die Verteidigung an der Reihe
ist.«
    Mooneys Gesicht leuchtete auf. »Hatte
Woods mit dem Mord zu tun? Nein, er hatte damals schon die Stadt verlassen. In
was für einer Verbindung könnte er zu dem Fall stehen?«
    »Das werden wir sehen.« In Wirklichkeit
hatte ich nicht die geringste Vorstellung, und jetzt spürte ich, wie mich der
Streß packte. In acht Stunden würde der Scheinprozeß beginnen. Ich mußte mich
noch mit Jack zusammensetzen und die Originalakten studieren. Und ich mußte
noch mit Loomis, dem Fotografen, reden. Auch hätte ich mich gern noch einmal
Louise Wingfields angenommen, aber mein gesunder Menschenverstand sagte mir,
daß das lieber die Polizei tun sollte. Gott, ich hoffte, daß Jack sich eine
solide Grundlage für die Prozeßführung zurechtgelegt hatte und nicht darauf
wartete, daß ich einen Sinn in diese kleinen Beweisbruchstücke brachte!
    Jed Mooney war jetzt ganz aufgeregt. Er
wollte sich mit mir über den Fall und die Anlage des Prozesses unterhalten. Er
bat mich, von meinem Wein zu trinken, mich ein wenig zu entspannen und Charlie
Parker zu hören. Ich sagte nein, weil ich noch mit dem Verteidiger sprechen
müsse, und sofort entschuldigte er sich. Als ich ging, überlegte er schon
hektisch, was er denn beim morgigen Tribunal anziehen sollte.
     
    »Himmel, ich finde keinen Ansatz, wie ich den Fall anpacken könnte«, sagte Jack. Er saß in unserer
Handbibliothek auf einem Stuhl — zerknittert, mit roten Augen und das
graumelierte Haar von seinen Fingern zerrauft. Auf dem Tisch lagen seine
Unterlagen und die Polizeiakten — die er kaum schon angeschaut haben konnte

Weitere Kostenlose Bücher