Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
Vom Netzwerk:
von ihm, es sei denn neidvolle. Sie war
schön und leidenschaftlich. Frisch wie ein Frühlingsschauer, zart wie die
Morgenröte...« Er brach ab und lächelte schmerzlich. »Wie Sie sehen, Miss
McCone, bin ich ein Poet — aber ein ganz miserabler.«
    »Sie erinnern sich wirklich sehr
lebhaft an Cordy«, sagte ich und ignorierte die Aufforderung zu einem Kommentar
seiner Vergleiche.
    »Bei einigen Menschen geht mir das so.
Meine Erinnerung an Cordy ist besonders deutlich. Für mich bleibt ihr Bild auf
ewig in einem wunderbaren Licht — jung, schön, vollkommen.«
    Lis Benedict hatte etwas Ähnliches über
Cordy in ihrem Abschiedsbrief geschrieben, daß sie sich für immer in Vincents
Gefühle einzugraben drohte. »Es hört sich an, als hätten Sie viel für sie übrig
gehabt.«
    Er schenkte mir die ganze Melancholie
seines Lächelns. »Sehr viel. Aber sie hat es nie gewußt. Cordelia McKittridge
hätte meine Gefühle nie erwidert — nicht bei einem Mann wie mir. Sie war etwas
Besonderes, und das bin ich leider nicht.«
    Ich spürte, daß er genug wehmütige
Selbsterkenntnis besaß, um jede tröstliche Platitüde zu durchschauen, die ich
ihm hätte anbieten können. So stellte ich ihm statt dessen eine Frage. »Das
Café — warum nannten Sie es das Unspeakable?«
    Wieder das Lächeln, es zitterte auf
seinen Lippen und verlosch. »Ich dachte, es würde das Unaussprechliche in mir
aufheben — meine Einsamkeit. Aber das tat es nicht. Sie ist immer geblieben.«
     
     
     

24
     
    Jed Mooney bestand darauf, mir Kaffee
anzubieten — eine bittere türkische Mischung, die den ganzen Abend meine
Magenwände pisacken würde — , und ich hatte nicht den Mut, ihn abzulehnen.
Zwanzig Minuten lang erzählte er von jener Zeit, als das Unspeakable ein Mekka
der Hippies war. Von Dichterlesungen, Jazzimprovisationen, von Drogen, Sex und
Absurditäten. Ich hörte ihm zerstreut zu, während ich in Gedanken ein halbes
Jahrzehnt weiter zurück war, bei den Beziehungen zwischen einer jungen Frau aus
den besten Kreisen, einer Stewardeß, einem gesichtslosen Mann und einem
Kommunisten, der für den gewaltsamen Sturz der Regierung plädierte. Als ich
mich endlich von Mooney verabschieden konnte, war es schon nach acht, und der
Nebel hatte die Stadt in seine schwere Umarmung genommen.
    Jacks Strategiesitzung hatte ich
verpaßt. Er würde jetzt wütend auf mich sein. Aber ich hatte nichts Neues zu
bieten — noch nicht. Vielleicht morgen, wenn ich die originale Polizeiakte über
den Mord gelesen hatte. Das bedeutete wieder eine lange Nacht. Aber so, wie ich
mich fühlte, konnte ich ohnehin nicht viel schlafen.
    Was nun? Ich könnte Adah Joslyn anrufen
und fragen, ob sie etwas über Roger Woods erfahren hatte. Doch dafür war es
viel zu früh. Außerdem würde sie mich dann wieder fragen, was ich im Laufe des
Tages erreicht hätte — und im Moment hatte ich keine Lust, das alles
wiederzukäuen. Vielleicht sollte ich noch einmal bei Enrique Chavez
vorbeifahren und das Haus beobachten, bis er heimkam. Aber eigentlich erschien
mir das auch nicht sinnvoll. Ich war unruhig, wollte etwas tun. Das Gefühl der
Erschöpfung nahm ich mittlerweile kaum mehr wahr.
    Ich stand neben meinem Wagen, der Nebel
machte mich blind, und ich spürte den Sog. Versuchte zu widerstehen, aber es
ging nicht. Also gab ich nach.
    Seacliff lag nur ungefähr ein Dutzend
Blocks entfernt. Ich stieg in den MG und fuhr nach Westen.
     
    Vor mir wand sich die kurvige, von
Zypressen gesäumte Auffahrt zum ehemaligen Institut. Dicker Nebel hing schwer
und seltsam unbewegt in den Zweigen. Vom Gate tuteten Nebelhörner herauf, und
die kalte Luft roch nach dem wilden, offenen Meer. Ich hielt vor der Einfahrt
an und fragte mich, wie der Besitz wohl gesichert war.
    Er wirkte genauso verlassen wie in der
Nacht, als Louise Wingfield und ich hier gewesen waren. Falls die Besitzer das
Grundstück bewachen ließen, würden die Wachleute wahrscheinlich nur
oberflächlich und in größeren Abständen vorbeischauen. Polizeistreifen gab es
in Seacliff nämlich reichlich, und außerdem verringerte die Lage des Hauses die
Gefahr von Vandalismus — an einer Straße, die zur einen Seite keine freie
Ausfahrt bot, zur anderen an der National Recreation Area zur Sackgasse wurde.
    Ich ging verstohlen die Auffahrt hinauf
und hielt mich neben dem Kiesbelag, so daß meine Schritte kaum hörbar waren.
Die trockenen Blätter einer nahen Eukalyptusgruppe raschelten über mir. Als ich
um die Kurve bog,

Weitere Kostenlose Bücher