Letzte Instanz
du rufst sie zuerst in den
Zeugenstand?«
»Stimmt wieder.«
»Okay. Ich erinnere mich, daß bei dem
Patty-Hearst-Bankraubprozeß das ganze Gericht den Saal verlassen hat und in das
Apartment gezogen ist, wo die Kidnapper sie in den Schrank gesperrt hatten.
Könntest du bei diesem Prozeß nicht auch so einen Ortstermin arrangieren? Für
Judys Aussage nach Seacliff hinauszufahren?«
»Ich kann bei Gericht einen Lokaltermin
beantragen. Das passiert dann, wenn ein Punkt nicht durch Fotos, Diagramme oder
direkte Beschreibungen in der Aussage geklärt werden kann.«
»Ich würde sagen, dies ist so ein Fall,
oder?«
»Also, es gibt subjektive Faktoren, die
am Tatort klarer herauskommen würden. Das ist allgemein der Grund, warum man
das macht. Aber ich müßte meinen Antrag begründen, und dann läge es im Ermessen
des Richters.«
»Glaubst du, er wäre dafür?«
Jack rieb sich das stoppelige Kinn und
dachte einen Augenblick nach. »Normalerweise sind die Richter dagegen. Sie
haben gern alles unter Kontrolle und wissen, daß die ihnen zum Teil
verlorengeht, wenn sie den Sitzungssaal verlassen. Andererseits ist das hier
nur ein Scheinprozeß. Da geht man entspannter an die Sache heran. Rudy Valle
ist ein guter Jurist und neigt schon einmal dazu, im Interesse der
Wahrheitsfindung ein wenig von der Regel abzuweichen. Ich würde sagen, es
bestehen gute Chancen. Aber bist du sicher, daß wir Zugang zu dem Anwesen
erhalten?«
»Meine Maklerin kümmert sich noch darum.
Morgen früh erfahre ich es.«
Jack setzte sich auf und wirkte jetzt
lebendiger als seit Tagen. »Dann sollte ich Valle und Wald heute in der
Vormittagspause auf diese Möglichkeit vorbereiten. Wann sollten wir denn am
besten hinausfahren?«
»Das wäre noch einmal ein wenig außer
der Reihe. Ich würde den Lokaltermin nämlich am liebsten für morgen abend
ansetzen lassen, nach Einbruch der Dunkelheit. Herrscht dann ein Nebel wie
heute, müßten wir die gleichen Verhältnisse vorfinden wie in der Mordnacht.«
Er runzelte die Stirn. »Das engt den
Zeitplan allerdings furchtbar ein. Ich müßte dann schon morgen am späten
Nachmittag mit der Verteidigung beginnen und nicht erst am Sonntag. Aber ich
glaube, das geht. Wenn nötig, verzichte ich auf mein Eröffnungs-Statement — ist
ja doch nur ein Haufen Mist.«
»Ich werde mich sporadisch im
Sitzungssaal aufhalten«, sagte ich. »Ich muß nämlich noch ein paar Dingen
nachgehen. Ich halte dich auf dem laufenden. Wenn alles klappt, fahren wir
morgen abend nach Seacliff, und du kannst Judy vorführen lassen, was sie in der
Mordnacht getan und gesehen hat. Das sollte die Jury überzeugen, daß die
Anklage erhebliche Lücken aufweist. Und vielleicht erinnert sich Judy an etwas
Besonderes, womit du deine Gesamtdarstellung des Falls am Sonntag abstützen
kannst.«
»Du glaubst wirklich an diese Sache mit
der verdrängten Erinnerung?«
»Du nicht?«
Er sah weg. »Ich weiß überhaupt nicht
mehr, was ich glauben soll.«
»Also, ich habe mich darüber mit einer
Therapeutin unterhalten. Es kommt häufiger vor, als du dir vorstellst. Der
Susan-Nason-Fall...«
»Den kenne ich.« Er schüttelte den
Kopf. »Ich meine, es ist schwer zu glauben, daß einem Menschen, dem du
nahestehst, etwas so Bizarres passiert.«
»Nun zerbrich dir darüber nicht gerade
heute nacht den Kopf. Du brauchst deine Ruhe.« Ich stand auf und nahm die dicke
Polizeiakte vom Tisch.
»Du fährst nach Hause?«
»Ja, aber nicht, um zu schlafen. Ich
habe noch einige Lektüre vor mir.«
JUDY
BENEDICT: Mamas Kleid war vorne rot. Es war ein weißes Kleid, aber bis zum Saum
war alles rot. Sie sagte, es sei Tinte... Der Ring war in dem Ritterspornkleid,
das sie letzte Weihnachten angehabt hat.
RÜSSEL EYESTONE: Das Kind kam mit dem
Ring die Treppe herunter. Sie sagte, sie habe es im Ritterspornkleid gefunden —
sie meinte damit die Farbe des Kleides. Mrs. Benedict sagte, sie hätte es auch
weggeben sollen... Sie meinte damit wohl, daß sie es mit den anderen Kleidern
in die Kleidersammlung hätte geben sollen...
DR. ROBERT MCDONALD (Lis Benedicts
Hausarzt): »Nein, Mrs. Benedict hat mich nicht wegen der Lebensmittelvergiftung
konsultiert. Das überrascht mich, offen gesagt. Sie kam mir nämlich immer ein
bißchen hypochondrisch vor...«
LEONARD EYESTONE: Wir waren alle, bis
auf Mrs. Benedict, im Blue Fox und später im St. Francis. Nur während des
Wechsels in das andere Lokal waren wir nicht alle zusammen. Und wie Sie wissen,
ist der
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