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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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nicht in einem unvorhersehbaren Zustand der Erregung oder zur
Selbstverteidigung gegriffen wurde. Die Schere hatte ihren Platz nicht in dem
Taubenhaus, sondern in der Hütte des Gärtners, und sie hatte sich in der Tat in
der Hütte befunden, als der Gärtner an jenem Nachmittag um fünf Uhr abschloß
und heimging. Und ein Zweitschlüssel hing an einem Schlüsselbrett in der Vorratskammer
des Wohnhauses, für jeden Bewohner leicht zugänglich. Lisbeth Benedict ging mit
dieser Schere in der Hand zum Taubenhaus, zum Mord bereit.
    Erinnern Sie sich bitte an unsere
Feststellung, daß Lisbeth Benedict auf erfindungsreiche Weise die sich ihr bietende
Gelegenheit nutzte. Erfindungsreichtum war eines der besonderen Kennzeichen
dieses Verbrechens. Lisbeth Benedict hatte, als sie zum Taubenhaus ging, nicht
nur die Schere bei sich, mit der sie Cordelia McKittridge tötete, sondern auch
zwei symbolische Gegenstände. Und sie kam von dort mit einem noch
symbolischeren Gegenstand zurück.
    Die Gegenstände, die die Angeklagte bei
sich hatte, waren zwei Pennies. Nun könnte man mit gutem Recht behaupten, daß
praktisch jeder jederzeit zumindest ein paar Pennies mit sich herumträgt. Doch
das hier waren keine gewöhnlichen Münzen. Es waren im Krieg ausgegebene Münzen,
die später kaum mehr in Umlauf waren. Und obwohl wir nicht vorgeben können zu
wissen, welche Bedeutung sie für Lisbeth Benedict hatten, wissen wir sehr wohl,
was sie mit ihnen gemacht hat. Nachdem Cordelia McKittridge sich auf dem
Fußboden des Taubenhauses zu Tode geblutet hatte, bahrte die Angeklagte die
Leiche wie zu einer Beerdigung auf und legte ihr auf jedes Auge einen dieser
Pennies.
    Und welchen symbolischen Gegenstand
nahm sie mit sich? Einen Ring. Einen Amethystring, den, wie die Beweisführung
erbringen wird, Miss McKittridge von dem Ehemann der Angeklagten geschenkt
bekommen hatte. Einen Ring, den später Judy, die Tochter der Angeklagten, unter
deren Habseligkeiten gefunden hat, nachdem die Familie aus dem Institut
ausgezogen und in ein eigenes Haus gezogen war, wo Außenstehende keinen Zugang
mehr zu ihrem Eigentum haben. Einen Ring, meine Damen und Herren Geschworenen,
der nicht einfach von der Hand Cordelia McKittridges gezogen, sondern ihr abgehackt wurde — mitsamt dem Finger, an dem sie ihn trug.
     
    Ich schob das Protokoll zur Seite.
Genau das war der Grund, warum ich in diesem Fall nicht noch einmal ermitteln
wollte. Vielleicht war das, was Cordy McKittridge angetan worden war, mild im
Vergleich zu manchem, was heute gang und gäbe war. Aber es stieß mich einfach
ab. Und so, wie ich mich weigerte, schmutzige Filme anzuschauen oder Romane
oder Tatsachenberichte über Verbrechen zu lesen, die in Verstümmelungen und
sadistischen Handlungen schwelgen, wollte ich auch mit dem hier nichts zu tun
haben.
    Langsam bedauerte ich, daß ich auch Lis
Benedict zum Dinner eingeladen hatte. Wie konnte ich mit ihr am selben Tisch
sitzen, wenn ich immer noch Zweifel daran hegte, daß sie an diesen
Scheußlichkeiten unschuldig war?
    Die Hitze unter dem Pilzgemisch war
wieder größer geworden. Es blubberte, und dann flog ein gräulich-weißer Kloß
durch die Luft und landete auf der Bar. Ich starrte ihn wütend an und blätterte
nach dem Rezept. Der nächste Schritt bei der Verarbeitung dieses schrecklichen
Gemischs? Wickeln Sie es in Mais-Tortillas. Gießen Sie die ölige Sauce darüber.
Belegen Sie es mit Monterey-Jack-Käse und backen Sie es.
    O nein, so nicht! Ich hatte nicht vor,
die leckeren Tortillas und den Käse mit diesem Zeug in Berührung zu
bringen. Ich nahm die Pfanne vom Herd, trug sie zum Spülbecken und beförderte
das Pilzgemisch in den darunter befindlichen Mülleimer. Dann wandte ich mich
der Tomatensauce zu.
    Ich leerte die Pfanne mit der roten
Sauce gerade in das Becken, als Rae zur Hintertür hereinkam. Ihr Gesicht war
vom Tag in der Sonne gerötet, und auf ihrem Nasenrücken erblühte ein Grüppchen
frischer Sommersprossen. In der Hand hielt sie eine Gartenschere.
    Ich sah sie und schreckte zurück. Sah
auf die dickliche rote Mixtur hinab, die in den Abfluß rann. Und dachte: Der
Finger. Guter Gott, was ist mit Cordys Finger passiert?
    Rae starrte mich an. »Shar, alles in
Ordnung? Was ist denn los?«
    »Dieses Zeug ist ungenießbar, das ist
los! Hattest du nicht gesagt, Larry hätte sie für dich gemacht und sie hätten
dir geschmeckt?«
    »Na ja, jedenfalls habe ich das so in
Erinnerung. Aber ich habe mit Wein nachgeholfen. Das muß

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