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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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köchelte die Spaghettisauce
vor sich hin. Das Knoblauchbrot war fertig für den Backofen, und der Salat
wartete knackig in der Schüssel. Ein kühler Abendwind war aufgekommen, und
deswegen legte ich Scheite in den freistehenden Kamin, den ich kürzlich in mein
Wohnzimmer hatte einbauen lassen. Rae stellte das Tablett mit dem sündhaft
teuren Horsd’œuvre auf den Tisch, das sie bei unserem Lieblings-Italiener
gekauft hatte. Wir setzten uns und warteten auf unsere überfälligen Gäste.
    Um zehn vor acht erschienen Jack und
Judy, ohne Lis, und sie sahen aus, als hätten sie gerade einen Streit gehabt.
Als ich ihre Mäntel aufhängte, zog Jack mich auf die Seite. Es habe eine neue
Schmieraktion gegeben, sagte er, diesmal im Laufe der vergangenen Nacht, und
Lis sei völlig deprimiert. »Sie will unbedingt wieder fortziehen. Wir haben sie
zu überreden versucht, heute abend mitzukommen, aber sie wollte sich nicht mit
normalen Leuten zum Essen an einem Tisch setzen.«
    Ich dachte an meine vorangegangenen
Vorbehalte, sie überhaupt eingeladen zu haben, und schämte mich plötzlich. Mir
wurde klar, daß ich zwar eine Menge über Verbrechen und ihre direkten Folgen
wußte, mir aber noch nie viele Gedanken über die langfristigen Auswirkungen
gemacht hatte, besonders nicht über eine sogenannte bedingte Haftentlassung.
    Jack trug den mitgebrachten Wein in die
Küche, und Rae holte Gläser. Judy war ins Wohnzimmer gegangen. Ich ging ihr
nach zum Kamin, wo sie sich die Hände wärmte. Sie war groß und dünn. Ihre
Gabardinehose mit Bügelfalte schlotterte um sie herum. Ihr fast weißblondes
Haar — wahrscheinlich auch Lis’ frühere Farbe — war kunstvoll zu einem Knoten
aufgesteckt. Kleine Strähnen ringelten sich über die hohe Stirn und in den
langen Nacken. Ihre Augen strahlten ruhig und ausdrucksvoll hinter großen
runden Brillengläsern.
    Seit ich Judy kannte, ging für mich
etwas Faszinierendes von ihr aus, das ich nicht erklären konnte. Jetzt fiel mir
ein Begriff dafür ein, »jenseitig«. Im Schottischen heißt das »fey«, und meine
Tante Clarisse, die in meiner Familie für Gespenster zuständig war, benutzte
das Wort oft, wenn sie uns ihre schaurigen Gutenachtgeschichten erzählte. Oft
hatten wir dann noch lange, statt zu schlafen, ängstlich unter der Bettdecke
gelegen. Als Erwachsene entdecke ich in dem Begriff jetzt einen gewissen
sadomasochistischen Einschlag. Ich habe auch einmal im Wörterbuch
nachgeschlagen: »Fey« war, wie Clarisse, schottisch und bedeutete soviel wie
»unter einem Bann stehend und fähig zur Vorahnung von Katastrophen, Tod oder
Unglück; jenseitig«. Nachdem ich immer gern für alles ein Etikett habe, war mir
jetzt wohler, für Judys schwer faßbare Eigenschaft einen Begriff gefunden zu
haben. Zugleich stand dieser in deutlichem Widerspruch zu der Art, wie sie sich
gab. Bei einer realistisch denkenden und erfolgreichen Theaterproduzentin denkt
man schließlich nicht unbedingt an Übersinnliches oder Jenseitiges.
    Sie kam auf mich zu und ergriff meine
Hände. »Danke für die Einladung. Es tut mir leid, daß meine Mutter nicht
mitkommen konnte.« Sie schien über den Begriff zu stolpern, als bereite es ihr
Mühe, an Lis als ihre Mutter zu denken oder so von ihr zu sprechen.
    »Jack hat mir von den neuen
Schmierereien erzählt. Was stand diesmal auf der Wand?«
    »Wieder das gleiche. Der Nachbar ein
paar Häuser weiter hat es für mich übermalt, aber man erkennt es noch. Und
wahrscheinlich kommen sie wieder.«
    »Ich habe jemanden losgeschickt, den
Jungen ausfindig zu machen, der es getan hat.«
    Sie zuckte mutlos mit den Schultern.
»Ich fürchte, bei Lis haben sie ihr schlimmes Ziel schon erreicht.«
    »Ist sie wirklich entschlossen zu
gehen?«
    »Das sagt sie jedenfalls. Sie
behauptet, von schlimmen Dingen passieren stets drei auf einmal — Lis ist und
war immer äußerst abergläubisch. Bei einem Menschen von ihrer Intelligenz schon
seltsam. Sie glaubt, wenn sie geht, wird das den Bann brechen. Aber ich glaube
nicht, daß sie jetzt schon wegzieht. Dazu ist sie viel zu deprimiert.«
    Jack und Rae kamen mit dem Wein herein.
Wir setzten uns, und ich lenkte das Gespräch auf angenehmere Themen. Diese
Angewohnheit verdanke ich meiner Mutter, die die Erörterung unerfreulicher
Dinge vor dem Essen untersagte, weil dies der Verdauung schade. Rae gab ein
paar Geschichten über ihren Willie Whelan zum besten, die mit Gelächter
quittiert wurden, und die Spannung, die ich zwischen Jack und

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