Letzte Instanz
ins
Haus kam und kochte und da war, wenn ich aus dem Theatercamp kam. Er kam
pünktlich heim und trank nicht so viel wie sonst. Aber dann, am 26. Juli — ich
erinnere mich so genau an das Datum, weil es der Tag nach dem Zusammenstoß der Andrea
Doria mit der Stockholm war und alle Welt darüber redete —, kam er
heim... na ja, total zu. Er saß am Küchentisch und trank fast die ganze Nacht,
bis er umkippte. Und am folgenden Nachmittag schickte er mich zu den Eyestones.
Ich sollte dort bleiben. Sie behielten mich für ein paar Wochen bei sich, und
dann kam ich in ein Pflegeheim. Bis auf ein paar kurze Besuche habe ich meinen
Vater nie wieder gesehen. Ich verlor alles.«
»Was war mit deiner Mutter?« fragte
Rae. »Hast du sie im Gefängnis besucht?« In ihrer Stimme klang Mitgefühl. Sie
selbst hatte früh beide Eltern verloren und war von einer Großmutter erzogen
worden, die sie spüren ließ, daß sie sie nicht wirklich haben wollte.
»Ein paarmal.«
»Wie hat sie auf deine Aussage
reagiert?« fragte ich.
»Sie sagte mir, ich solle tun, was ich
für richtig hielt. Ich solle die Wahrheit sagen und es nie bereuen. Schon
damals kam mir das seltsam vor. Ich wußte, bei einem Schuldspruch würde man sie
hinrichten.«
»Habt ihr später noch einmal darüber
geredet?«
»Sie sagte nur, sie wolle es mir nicht
schwerer machen, als es bereits war. Aber klingt das nicht irgendwie
fadenscheinig?«
»Vielleicht nicht einmal«, sagte ich
und dachte dabei an meine eigene Mutter. »Es gibt Eltern, die sehr selbstlos
sind, wenn es um ihre Kinder geht. Wem hast du zuerst von dem Blut auf der
Kleidung deiner Mutter erzählt? Und wann?«
»Rote Flecken, nicht Blut. Ich kann
mich nicht erinnern.«
»Und wann bist du zum erstenmal Joseph
Stameroff begegnet?«
»Im Pflegeheim, etwa eine Woche nach
meiner Ankunft dort und Monate vor dem Prozeß. Er wollte mit mir reden und
brachte mir einen Teddybär mit. Ich sagte ihm, ich sei zu alt für Stofftiere,
und er antwortete, niemand sei zu alt dafür. Manchmal brauche man etwas, das
man an sich drücken und dem man all seine Geheimnisse anvertrauen könne. Er
wußte... über vieles Bescheid.«
»Lis behauptet, er und seine Frau
hätten versucht, dich gegen sie zu beeinflussen.«
Judy preßte die Lippen zusammen. Nach
einem Augenblick sagte sie: »Es gibt eine ganze Menge Dinge zwischen mir und
meinen Eltern... meinen Adoptiveltern, die Lis nicht versteht.«
Jack sagte gütig: »Aber sie hat gute
Gründe für die Annahme, daß sie dich beeinflußt haben. Er hat dich immer
gedrängt, sie nach deinem ersten Besuch im Gefängnis fallenzulassen. Er hat dir
jetzt deutlich gesagt, er wolle nicht, daß sie in deinem Haus wohnt. Und seit
er von diesem geplanten Scheinprozeß erfahren hat, hat er dir regelrecht
zugesetzt und versucht, dir das auszureden.«
Sie sah ihn mit vor Zorn verzerrtem
Gesicht an. »Woher weißt du das?«
»Von seiner Einstellung zu dem Prozeß?
Das kann ich aus deinen Andeutungen schlußfolgern. Und letzte Woche hat er mich
im Büro angerufen und versucht, mich unter Druck zu setzen. Heute hat er Lis
angerufen, während du einkaufen warst — und das nicht zum erstenmal.«
»Hat er das? Und sie hat es dir erzählt?«
Jack nickte. Judy schwieg eine Weile.
Schließlich sagte sie: »Weil wir gerade von Lis reden — wir sollten sie nicht
so lange alleinlassen.«
Jack schien dieser abrupte
Themenwechsel nicht zu überraschen. Er sah nur auf die Uhr, sagte: »Himmel,
schon Mitternacht vorbei«, und stand auf. Als Judy sich erhob, fragte er mich:
»Höre ich noch vor Montag von dir?«
»Möglich. Erreiche ich dich morgen?«
»Den ganzen Tag. Ich muß mich auf eine
Verhandlung am Dienstag vorbereiten.«
»Dann komme ich vielleicht kurz bei dir
vorbei.« Ich begleitete sie zur Tür und sah ihnen nach, wie sie meine schmale,
mit Autos vollgeparkte Auffahrt bis zu Jacks Wagen hinuntergingen. Dann kehrte
ich ins Haus zurück und setzte mich zu Rae ans Feuer.
Mit einemmal sagte sie: »Bitte mich
nicht, den Fall zu übernehmen.«
»Ich... Woher wußtest du das?«
»Seit gestern abend versuchst du schon,
mich rüberzuziehen. ›Rae, hör mal! Rae, dieser Fall wäre eine echte
Herausforderung‹.« Die Art, wie sie meine ziemlich durchsichtigen Bemühungen
nachäffte, war wenig schmeichelhaft, aber zutreffend.
»War ziemlich deutlich zu merken,
nicht?«
»Du solltest nicht versuchen, andere
Leute zu manipulieren. Das ist nicht gerade deine Stärke.«
»Und du
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