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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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einer Weile«, fuhr Lis fort,
»fängt man an, die anderen Insassinnen zu akzeptieren, und umgekehrt genauso.
Es macht nichts mehr aus, daß sie größtenteils wenig gebildet und arm sind und
einige einfach verrückt. Sie werden zu deiner Familie, denn sie sind alles, was
du hast. Und ihnen macht es nichts aus, daß du eine Ausbildung genossen hast,
die sie nicht hatten. Im Gegenteil, sie werden richtig stolz auf einen. ›Das
ist meine Freundin, die Lady vom College‹, stellte eine Frau mich vor, wenn sie
Besuch hatte. Als ich älter wurde, sahen die Jüngeren in mir eine Ersatzmutter
und erzählten mir von ihren Problemen und ihren verrückten Phantasien. Einige
nannten mich Mom, und seltsamerweise gefiel mir das.«
    Sie hielt einen Augenblick inne und
fügte dann leiser hinzu: »Man kann sich an alles gewöhnen, glaube ich. Aber
eine Tageszeit gab es, da kam immer der Schmerz hoch. Der frühe Abend war meine
liebste Tageszeit gewesen... früher. Eine Zeit des Friedens und des Hoffens. Im
Gefängnis wurde es die einsamste Zeit, die traurigste, weil ich wußte, es würde
nie wieder eine Hoffnung geben. In diesen frühen Abendstunden habe ich geweint,
bevor mir die Tränen dann versiegten und ich für immer zu weinen aufgehört
habe.«
    Diese einfachen Worte berührten mich
tief, um so mehr, als sie in einer Weise ausgesprochen wurden, die kein Mitleid
erregen wollte: So war es. Darum bin ich so, wie ich bin. Nicht mehr.
    »Jetzt gibt es eine Hoffnung«, sagte
ich.
    »Nein, für mich ist es zu spät. Aber
nicht für Judy.«
    »Dann packen wir die Sache eben um
Judys willen an.« Ich zog mein Notizbuch aus der Tasche. »Ich habe mir schon
einiges notiert, aber die meisten Leute, die mit Ihrem Fall zu tun hatten,
konnte ich noch nicht auftreiben. Was ist mit Joseph Stameroff? Wie sind die
Aussichten, mit ihm zu reden?«
    »Ich fürchte, sehr gering.«
    »Könnte es wohl sein, daß er hinter den
Schmierereien und den Anrufen steckt?«
    Sie dachte nach, schüttelte dann den
Kopf. »Das würde er Judy nicht antun. Mir vielleicht, aber nicht ihr.«
    »Dann werde ich sie bitten, mit ihm zu
reden. Vielleicht bringt sie ihn dazu, den Fall mit mir zu besprechen. Dann
wäre da Leonard Eyestone — morgen rufe ich als erstes in seinem Büro an und
versuche, eine Verabredung mit ihm zu treffen. Und diese Louise Wingfield,
Cordys Freundin, die über den Brief aussagte — ich habe schon von ihr gehört.
Dame der Gesellschaft, vor fünfzehn Jahren Scheidung mit großer Abfindung —
danach hat sie ihren Mädchennamen wieder angenommen. Mit dem Geld hat sie eine
Stiftung zur Unterstützung von Kindern der Minderheiten gegründet. Ich habe da
eine Verbindung, über die ich vielleicht zu einem Gespräch mit ihr komme. Was
ist mit Ihrem Anwalt?«
    »Harry Moylan? Der ist schon Vorjahren
gestorben.«
    »Warum hatten Sie übrigens einen
Pflichtverteidiger?«
    »Ich konnte mir keinen anderen
leisten.«
    »Ihr Mann hatte doch ein Einkommen...«
    »Mein Mann war Alkoholiker, Miss
McCone. Der oberste Posten im Budget eines Alkoholikers ist der Schnaps. Die
meiste Zeit konnten wir kaum das Nötigste bezahlen.«
    »Und das Institut hat Ihnen keine
Unterstützung angeboten?«
    »Sie waren nur zu glücklich, mit mir
nichts zu tun zu haben. Mein angebliches Verbrechen brachte ihre Verträge mit
der Regierung in Gefahr. Russell Eyestone war ein eiskalter Mann. Wenn Sie mit
Leonard reden, werden Sie merken, wie sehr er seinem Vater ähnelt.«
    »Und Ihre Familie — haben Sie sich an
sie gewandt?«
    »Das hätte nichts gebracht. Schon Jahre
vorher hatte ich Streit mit ihnen gehabt wegen Vincents Trinkerei und seiner
Art, mich schlecht zu behandeln. Nach meiner Verhaftung haben sie dann auch
noch die letzten Kontakte abgebrochen.«
    In ihrer Stimme schwang weder
Bitterkeit mit noch Bedauern. Die Jahre im Gefängnis hatten auch solche Gefühle
vertrocknen lassen. »Okay«, sagte ich, »und was ist mit den Sheridans? Die
waren an dem Abend ja in Ihrem Haus, als Judy Cordys Ring fand.«
    »Ich habe keine Ahnung, was aus Bob und
Jane geworden ist. Sie könnten tot sein.«
    »Gibt es sonst noch
Institutsmitglieder, mit denen ich sprechen sollte?«
    »Die meisten waren älter als Vincent
und ich und sind inzwischen gestorben.«
    »Dienstpersonal, das dort beschäftigt
war?«
    »Tot oder in alle Winde zerstreut. Ich
kann mir nicht denken, wie Sie die ausfindig machen sollten.«
    Ich klappte mein Notizbuch unbenutzt zu
und ging zu einem heikleren Thema

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