Letzte Instanz
geflogen.«
»Dann kann es wohl keiner von euren
wild dreinblickenden Sozialisten gewesen sein. Was uns zu Vincent Benedict
führt. Hat Cordy ihn geliebt?«
Louise Wingfield preßte die Lippen
zusammen. »Im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Ich mußte zwangsläufig bei Cordy
erkennen, daß sie niemanden liebte. Sich selbst am allerwenigsten.«
»Und diese kurzen Mitteilungen von
Benedict mit den Verabredungen — sie trafen sich wohl eher in dem Apartment in
North Beach als im Haus ihrer Eltern, oder?«
Louise Wingfield nickte.
»Haben Sie jemals eine davon gelesen?«
»Nein.«
»Aber Sie waren sicher, daß sie von
Benedict kamen. Warum? «
»Seine Handschrift war unverwechselbar.
Eine steile schwarze Schrift auf grauem Leinenpapier. Kein Absender, aber der
Poststempel von San Francisco.«
»Aber was macht Sie so sicher, daß sie
von ihm waren?«
»Weil Cordy es Melissa anvertraut
hatte, und die erzählte es mir. Wenn sie kamen, benahm Cordy sich anders als
sonst — sie lächelte blasiert und tat immer geheimnisvoll.«
»Wann begann die Geschichte mit
Benedict?«
»Gleich nach unserer Rückkehr aus
Mexiko.«
»Kannten Sie Benedict?«
»Ja. Cordy nahm mich ein paarmal mit
ins Institut, einmal hat sie mich sogar für eine der Cocktailparties dort mit
jemandem verkuppelt. Die meisten Leute kannte ich. Bei einer dieser
Gelegenheiten hat sie mir auch das Taubenhaus gezeigt, einen sehr romantischen
Platz, wie sie meinte. Der Architekt des Anwesens sei ein anglophiler Mensch
gewesen, und darum habe ein Taubenhaus dazugehört.«
»Und für Sie war damit der Ort für
Cordys Stelldichein mit Benedict gemeint.«
»Ich wußte , daß sie das so
meinte. Cordy hatte eine Art, Dinge ganz klar auszudrücken, ohne sie wirklich
beim Namen zu nennen. Ihre dauernden Anspielungen auf das Taubenhaus machten
mich ganz verrückt, und ich sagte ihr, sei nicht so kindisch.«
»Wann war das?«
»Ein paar Monate vor ihrem Tod.«
»Aber, wie Sie alle hinter dem Rücken
Ihrer Eltern Ihre Schleichwege suchten — das war ja auch eher kindisch, nicht?«
Louise Wingfield zuckte mit den
Schultern. »Vielleicht war ich das Ganze damals schon leid geworden. Ich stand
vor dem Examen in Stanford und hatte ein paar schwere Entscheidungen über meine
Zukunft zu treffen. Irgendwie schien es mir nicht mehr besonders interessant,
durch irgendwelche Clubs zu ziehen und Affären mit verheirateten Männern zu
haben.«
»Wer sonst wußte von Cordys und
Vincents Rendezvous im Taubenhaus?«
»Das weiß ich nicht genau. Ein paar
mußten es schon gewesen sein, wenn man bedenkt, wie in dieser Stadt getratscht
wird.«
»Lis Benedict?«
»Also, wenn es stimmt, daß sie Cordy
getötet hat...«
»Nehmen wir zunächst mal an, sie hat es
nicht getan.«
»Ja... Kann schon sein, daß sie es
gewußt hat.«
»Sie waren doch auch mit Lis bekannt?«
»Ja.«
»Wie benahm sie sich Cordy gegenüber?«
»Sie war zu Cordy so freundlich wie zu
mir, auf eine zurückhaltende Weise. Mrs. Benedict war eine wohlerzogene Frau
und benahm sich stets wie eine Dame. Deswegen war ich auch so geschockt, als
man sie wegen des Mordes festnahm.«
»Aber Sie haben geglaubt, daß sie die
Täterin war.«
»Ja.«
»Jetzt auch noch?«
»...Ich weiß nicht. Damals wollte ich
es glauben, weil ich die ganze Sache hinter mir haben wollte, damit ich mein
eigenes Leben weiterführen konnte. Und jetzt... Also, ich kann mir immer noch
nicht vorstellen, wer es sonst gewesen sein könnte.«
»Genau das will ich herausbekommen.«
Ich sah auf meinen Block mit seinen spärlichen Notizen. »Miss Wingfield,
glauben Sie, das Doppelleben von Ihnen, Cordy und Ihren Freundinnen könnte zu
dem Mord geführt haben?«
Sie dachte nach und schüttelte dann den
Kopf. »Wie ich schon sagte, in Wirklichkeit waren wir noch recht unschuldig. Es
war eine winzig kleine Rebellion gegen Sterilität und Konservatismus, wie wir
sie zu Hause und in der Schule erlebten.«
»Ich hätte San Francisco und seine
Einwohner niemals für steril und konservativ gehalten, nicht einmal in den
fünfziger Jahren.«
»Dann kennen Sie die Realität nicht.
Nach dem Krieg mußte San Francisco sich mit einem ungeheuren
Minderwertigkeitskomplex und einer furchtbaren Paranoia auseinandersetzen. Nur
durch Anpassung ist der Stadt das gelungen.«
»Ich fürchte, das verstehe ich nicht
ganz.«
Louise Wingfields Miene lebte auf. Ich
hatte den Verdacht, daß es ihr, trotz der schmerzlichen Erinnerungen, Spaß
machte, über die
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