Letzte Instanz
Stuart
versucht, und es hat Ihnen nichts gebracht. Sie könnten Ihren Einfluß ausüben,
daß die Behörden meine Lizenz nicht verlängern, aber wissen Sie was? Für unsere
Staatsdiener dort, die geschworen haben, Recht und Gesetz hochzuhalten, hat
eine illegale Nötigung einen äußerst üblen Geruch.«
Stameroff stand langsam auf — ein alter
Mann mit nachlassenden Kräften, aber immer noch ein ernstzunehmender Gegner.
»Ich habe keine Lust, mir dieses Gerede noch länger anzuhören! Und ich werde
Ihre Einmischung nicht hinnehmen. Sie können Leuten, die etwas zählen, nicht so
ins Gesicht springen.«
Leuten, die etwas zählen.
Keine Redensart hätte mich mehr in Rage
bringen können. Ich wandte mich um und suchte die Machtprobe. »Wer sind diese
Leute, Stameroff? Ihre Freunde? Leute in politischen Spitzenpositionen? Oder
Menschen, die so reich sind, daß sie sich alles und jeden kaufen können? Wen,
zum Teufel, meinen Sie, Stameroff?«
Er preßte die Lippen zusammen und sah
sich um. Man sah, er wollte hinaus. Aber er wollte auch das letzte Wort haben.
»Wen meinen Sie?« bohrte ich. »Kennen
die Leute, die zählen, etwa die Wahrheit über den Mord an Cordy McKittridge?
Kennen sie sie und haben gute Gründe, sie zu fürchten?«
Stameroff fuhr sich mit der Zunge über
die Lippen. Seine Hände waren damit beschäftigt, seine Kleidung
glattzustreichen. Schließlich sagte er: »Ich werde Ihre Fragen keiner Antwort
würdigen. Ich sage nur soviel: Dies ist meine letzte Warnung. Diese Beleidigung
von Recht und Gesetz kann ich nicht länger hinnehmen. Dem Recht und Gesetz
wurde vor sechsunddreißig Jahren Genüge getan, als Lisbeth Benedict zum Tod in
der Gaskammer verurteilt wurde. Ich bedaure nur, daß ich nicht zusehen konnte,
wie sie am Zyanid erstickte. Ich werde nicht zulassen, daß Recht und Gesetz
weiter untergraben werden — nicht zu diesem späten Zeitpunkt! Und gewiß nicht
von Ihnen.«
Ich sah ihm direkt in die Augen —
Augen, die mich jetzt verstehen ließen, was alte Weststaatler gemeint hatten,
wenn sie von den Augen eines Richters sprachen, der mit dem Todesurteil schnell
bei der Hand ist — und sagte: »Das ist das erstemal, daß jemand die Korrektur
eines Fehlurteils als ›Untergrabung‹ von Recht und Gesetz bezeichnet.«
Seine Kinnbacken mahlten, und er preßte
erneut die Lippen zusammen. Dann drehte er auf den Fersen um und verließ das
Zimmer. Ein paar Sekunden später schlug die Haustür mit einem Knall hinter ihm
zu.
Den Rest des Nachmittags verbrachte ich
mit Routinearbeit an meinem heimischen Schreibtisch, den frühen Abend mit dem
Ausgraben der restlichen Brombeerausläufer im Hinterhof. Dabei dachte ich in
allen Einzelheiten über die Schwierigkeiten nach, in die ich mich nun gebracht
hatte. Es waren nicht wenige, aber leid tat es mir ganz und gar nicht. Die
Joseph Stameroffs dieser Welt, die glauben, auf dem Rest der Menschheit
herumtrampeln zu können, machten mich regelrecht krank. Mit seinem
Einschüchterungsversuch sollte Stameroff diesmal auf einen Menschen gestoßen
sein, dem man so leicht keine Angst einjagen kann.
Starke Worte, McCone, sagte ich zu mir
selbst. Gar nicht einmal schlecht für eine dieser hochnäsigen,
unternehmungslustigen jungen Frauen. Wir werden sehen, wie tapfer du bist, wenn
du unter Druck gerätst.
Mit neuem Schwung stürzte ich mich
wieder auf die Brombeerausläufer.
Um neun Uhr lag ich auf dem Sofa und
hörte mir ein paar CDs mit Bigband-Musik an — eine kürzlich nach dem
Wiederlesen von The Last Convertible aufgekommene Begeisterung. Dabei
kam ich zu dem Schluß, daß nun der letzte Rest des Wunsches, den Fall Benedict
noch fallenzulassen, verflogen war. Vielmehr trieb mich die Wut, nun erst recht
nachzubohren — und das wiederum weckte meine Vorsicht. Kaum etwas, was ich mit
Wut im Bauch angepackt hatte, war gut ausgegangen. Ich brauchte jetzt vor allem
Rat — juristischen wie persönlichen — und das offizielle Einverständnis von All
Souls. Von Hank konnte ich beides bekommen. Morgen würde ich ihn in der
Ferienwohnung anrufen, die er und Anne-Marie auf Kauai gemietet hatten.
Und wenn er grünes Licht gegeben hatte?
fragte ich mich, während mein Fuß zu Glenn Millers ›American Patrol‹ den Takt
stampfte und Allie die Flucht von der Sofalehne ergriff. Ganz diskret
weiterermitteln und hoffen, daß Stameroff keinen Wind davon kriegte? Oder voll
loslegen und mich selbst wie auch All Souls in noch größere Bedrängnis bringen?
Eine
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