Letzte Instanz
Ich glaube, er hat im Auftrag eines noch
Einflußreicheren gehandelt.«
»Des Gouverneurs?«
»Eher einer dieser Drahtzieher hinter
den Kulissen mit dem wirklich großen Geld und der wirklichen Macht in den
Händen.«
Judy sackte zusammen, ein bißchen
theatralisch. »Meine ersten Eltern waren ein Alkoholiker und eine... ich weiß
nicht, was. Und dann wurde ich von einem Mann adoptiert, der einen Pakt mit dem
Teufel einging.«
»Was war Ihre Adoptivmutter für eine
Frau?«
»Sie war kalt. Ich spürte, daß sie mich
nicht wirklich mochte. Sie starb schon wenige Jahre nach meiner Adoption.«
»Hat er nie wieder geheiratet?«
»Er war viel zu sehr mit dem Erklimmen
der politischen Erfolgsleiter beschäftigt, um dazu die Zeit zu finden. Ich
wurde mehr oder weniger von der Haushälterin aufgezogen.«
»Okay«, sagte ich, »genug der
wiedergekäuten Vergangenheit. Jetzt müssen Sie etwas tun, das ganz bestimmt
nicht leicht ist.«
»Sie meinen, der Polizei von diesem
Brief erzählen und davon, daß ich sie habe weiterermitteln lassen, als wäre Lis
ermordet worden.« Sie biß sich auf die Unterlippe. »Sperren sie mich dafür ein?«
»Möglich. Aber ich glaube, wir können
erreichen, daß sie es nicht tun oder zumindest warten, bis das Tribunal vorbei
ist.«
Sie nickte resigniert. »Rufen Sie die
Polizei an?«
»Wollen Sie keinen Anwalt dabei haben?«
»Der einzige Anwalt, dem ich traue, ist
Jack, und ihn will ich auf gar keinen Fall hier haben. Ich versuche mein Glück
mit Ihnen und den Cops.«
Ich nickte und ging zum Telefon. Als
ich nach dem Hörer griff, ging das Deckenlicht an. Der Kühlschrankmotor seufzte
und ächzte und begann zu brummen. Aus einem Nachbarhaus ertönte ein
Hurra-Schrei.
Ich nahm ihn als gutes Omen.
»Das stinkt mir aber sehr«, sagte Adah
Joslyn. »Kann sich die eine oder andere von Ihnen beiden vorstellen, wie sehr
mir das stinkt?«
»Ich wage zu behaupten, ungeheuer.«
»Das ist gar nicht zum Lachen, Sharon.
Ich dürfte, außer in Gegenwart ihres Anwalts« — sie deutete mit dem Kinn auf
Judy — »überhaupt nicht mit ihr reden. Sie gibt zu, Ermittlungen behindert zu
haben. Das ist ein schweres...«
»Kommen Sie, Adah. Sie werden es nicht
zu einer Anklage kommen lassen.«
»Was sagen Sie da?«
»Sie werden es nicht dazu kommen
lassen, weil es sonst kein Tribunal mehr geben wird. Und wenn es das nicht
gibt, werden Sie und Wallace ihr eigentliches Ziel nicht erreichen.«
»Unser eigentliches Ziel war die Lösung
dieses Mordfalls — von dem sich nun herausstellt, daß es kein Mord war.«
»Sie haben — oder jedenfalls Wallace
hat — ein eher persönliches Interesse an der Sache.«
Ihre Augen verengten sich. Ich wußte,
was sie dachte: Nachdem Lis Selbstmord begangen hatte, war Joseph Stameroff
nicht mehr als Mörder festzunageln. Was hatte es also für einen Sinn, den alten
oder den neuen Fall weiter zu verfolgen?
Langsam und mit Nachdruck fügte ich
hinzu: »Ich weiß, was Lis Benedict meinte, als sie in ihrem Brief schrieb, sie
sei lebensmüde. Aber ich weiß auch, daß die Frau durch diese Schmierereien und
die anonymen Anrufe zu Tode gehetzt wurde. Und auch Judy und mich hat es
einigen Schlaf gekostet, abgesehen von den Beschädigungen an unserem Eigentum.
Adah, hinter alldem steckt doch jemand! Irgend jemand will verhindern, daß die
Fakten des alten Mordfalls wieder ans Tageslicht gezerrt und noch einmal
überprüft werden. Dieser Jemand hat sich krimineller Machenschaften in der
Gegenwart schuldig gemacht und wahrscheinlich auch in der Vergangenheit. Ich
glaube, Sie und Wallace erreichen das Ziel, das Sie sich gesetzt haben, indem
Sie dem Tribunal beiwohnen und sich ansehen, was dort aufgedeckt wird.«
»Sie scheinen ziemlich zuversichtlich,
daß der Prozeß Ergebnisse bringt.«
»Was ich ermittelt habe, geht in die
Richtung.«
»Sind Sie sicher, daß Sie nicht mehr
versprechen, als Sie halten können?«
Das war ich nicht, aber ich sagte ja.
Adahs Blick flog zu Judy hinüber, die
uns verwirrt und etwas argwöhnisch musterte. Dann kehrte er zu mir zurück. »Na
gut, es ist zwar kein todsicherer Weg, um diese Person in die Knie zu zwingen,
aber es könnte doch zufriedenstellend ausgehen. Ich nehme an, das ist auch
Barts Ansicht.«
»Heißt das, Sie lassen die Idee einer
Anklage gegen Miss Benedict fallen?«
»Könnte ich mir vorstellen.«
»Und wenn diese neue Entwicklung an die
Öffentlichkeit dringt?« Ich zeigte auf Lis’ Brief, der auf dem Tisch
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