Letzte Nacht in Twisted River
Ringermatte. Als der Waldarbeiter spürte, wie die Matte unter seinem Fuß nachgab, trat er rasch wieder auf den Parkettboden der Sporthalle, als wäre er auf etwas Lebendiges getreten. »Mist, da haben wir das erste Problem«, sagte Ketchum. »Die Matte ist zu weich - darauf kann man keinem richtig weh tun.«
»Ketchum, man will seinem Gegner nicht weh tun, sondern ihn nur schultern oder ihn nach Punkten besiegen«, erklärte Danny. Doch ehe sie sich's versahen, versuchte Ketchum Joe eine bessere Methode zu zeigen, wie man jemanden auf den Rücken warf.
»Du wirfst ihn auf den Bauch und drehst ihm einen Arm auf den Rücken«, sagte Ketchum voller Enthusiasmus. »Dann hebelst du den Unterarm des Kerls ein wenig aus und stößt ihm den rechten Ellbogen aufs linke Ohr. Glaub mir, der dreht sich um - wenn er nicht will, dass seine ganze Schulter draufgeht!«
»Man darf Arme nicht über einen Winkel von 45 Grad verdrehen«, klärte Joe den alten Holzfäller auf. »Aufgabegriffe und Würgegriffe waren früher einmal erlaubt, aber heutzutage darf man keinen durch Schmerz zwingen nachzugeben - das nennt sich Aufgabegriff -, und würgen darf man auch nicht mehr. So etwas ist heute nicht mehr zulässig.«
»Heiliger Dünnschiss - das ist genauso wie bei allem anderen!«, klagte Ketchum. »Sie knöpfen sich etwas vor, was mal gut war, und versauen es mit
Vorschriften!«
Doch als Ketchum sich noch ein paar von Joes Kämpfen angesehen hatte, fand er allmählich Gefallen am High-School-Ringen. »Teufel auch, ganz ehrlich, Cookie, zuerst dachte ich, so kämpfen nur Memmen. Doch wenn man sich erst mal dran gewöhnt hat, kann man sogar vorhersagen, wer den Kampf gewinnen würde, wenn er auf einem Parkplatz und ohne Mattenrichter stattfände.«
Joe war überrascht, zu wie vielen Kämpfen Ketchum kam. Der alte Waldarbeiter fuhr kreuz und quer durch ganz Neuengland, um Joe und das nmh-Team ringen zu sehen. In Joes letztem Schuljahr hatten sie eine ziemlich gute Mannschaft. Während Joes vier Jahren auf der Northfield Mount Hermon sah Ketchum jedenfalls mehr Ringkämpfe des Jungen als dessen Vater oder Großvater.
Die Wettkampftage waren Mittwoch und Samstag. Tony Angels Restaurant in Brattleboro hatte mittwochs geschlossen, damit sich Tony auch mal Ringkämpfe seines Enkels ansehen konnte. Doch samstags hatte der Koch nie die Zeit dazu, und offenbar fanden die wichtigeren Kämpfe - beispielsweise die Turniere gegen Saisonende - an Wochenenden statt. Danny Angel sah über die Hälfte der Kämpfe seines Sohnes, doch der Schriftsteller war oft beruflich unterwegs. Ketchum seinerseits fuhr zu fast allen Ringkämpfen Joes und erstattete den beiden anderen anschließend telefonisch Bericht.
»Ihr habt einen guten Kampf verpasst«, begann er jedes Mal.
Bevor Danny mit
Die Kennedy-Väter
einen Bestseller landete, hatte er keine Ahnung, dass Buchverlage auch so etwas wie Presse- und Werbeabteilungen hatten. Jetzt, da seine Verlage seine Bücher bewarben, fühlte sich Danny verpflichtet, für die Bücher auch zu reisen. Und die Übersetzungen kamen gestaffelt und fast nie gleichzeitig mit den englischsprachigen Ausgaben heraus. Was bedeutete, dass kaum ein Jahr verging, ohne dass Danny irgendwo auf Lese- und Pressereise war.
Außerhalb der Ringersaison und wenn sein Dad unterwegs war, verbrachte Joe die Wochenenden häufig bei seinem Großvater in Brattleboro. Manchmal ließen sich seine High-School-Freunde von ihren Eltern zum Essen in Tony Angels italienisches Restaurant einladen. Und gelegentlich half Joe in der Küche aus. Es war wie in alten Zeiten, aber auch wieder
nicht,
dachte der Koch, wenn er statt seines Sohnes seinen Enkel in der Küche arbeiten oder beim Auf- und Abräumen der Tische sah. Tony, vormals Dominic, machte sich klar, dass er Daniel zu dessen Prep-School-Zeiten seltener gesehen hatte als jetzt Joe. Deshalb hatte die Beziehung des Kochs zu seinem Enkel eine gewisse bitter-süße Melancholie; wundersamerweise gab es zwischen Tony Angel und Joe ganz entspannte Phasen, in denen der Koch kein einziges Mal an dem Jungen herumkrittelte, so wie er es früher bei Daniel getan hatte.
Inzwischen konnten die anderen Schüler in Joes Ringerteam Ketchum gut leiden. »Ist der harte Mann dort mit der Narbe dein Onkel?«, fragten sie Joe.
»Nein, Ketchum ist ein Freund der Familie - er war mal Flößer«, antwortete ihnen Joe dann.
Eines Tages fragte ihn der Trainer: »War der große Mann mit dem festen Händedruck
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