Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
früher mal Ringer? Irgendwie sieht er so aus.«
    »Nicht offiziell«, antwortete Joe.
    »Und woher stammt die Narbe?«, fuhr der Trainer fort. »Die sieht echt heftig aus - jedenfalls schlimmer als nach einem normalen Kopfstoß.«
    »Das war kein Kopfstoß, das war ein Bär«, stellte Joe klar.
    »Ein
Bär?«
    »Fragen Sie Ketchum bloß nie«, riet Joe. »Es ist eine schreckliche Geschichte. Ketchum musste den Bären töten, was er gar nicht wollte. Im Grunde
mag
er Bären.«
    Offensichtlich ging Joe Baciagalupos Ähnlichkeit mit dem Schriftsteller Danny Angel über bloß Äußerliches hinaus. Doch Danny befürchtete, dass sein Sohn etwas Verwegenes an sich hatte, aber keine baciagalupomäßig verwegene
Phantasie.
Es hing auch nicht mit dem Ringen zusammen, das Danny nie interessiert hatte - und dem Koch wäre es nie in den Sinn gekommen, zu ringen, allein schon wegen seines Hinkens. Dabei war Ringen sogar recht ungefährlich, sobald Joe sich besser damit auskannte. Nein, Joe hatte da eine Eigenheit, die weder von Danny noch von dessen Dad stammen konnte.
    Falls ein Katie-Callahan-Gen in dem Jungen aktiv war, dann vermutlich die Risikobereitschaft. Joe fuhr zu schnell Ski, er fuhr zu schnell Auto, und bei Mädchen hatte er es ebenfalls mehr als eilig; sein Vater hatte den Eindruck, dass Joe einfach zu viel riskierte.
    »Vielleicht ist das die Katie in ihm«, hatte Danny es gegenüber seinem Dad formuliert.
    »Vielleicht«, antwortete der Koch. Tony Angel mochte den Gedanken nicht, dass
irgendetwas
von dieser schauderhaften Frau in seinem Enkel steckte. »Er könnte es aber auch von deiner Mutter haben, Daniel. Schließlich war Rosie ein risikofreudiger Mensch - frag nur mal Ketchum.«
    In der Zeit, die er in seinem Leben damit verbracht hatte, die Fotos seiner Mutter anzusehen, hätte Danny einen Roman schreiben können - aber es gab eine Unterbrechung, nämlich nachdem er die Wahrheit über seine Mom, Ketchum und seinen Vater erfahren hatte. Er hatte die Fotos seinem Dad geben wollen, doch Tony Angel hatte abgelehnt. »Nein, sie gehören dir - ich sehe Rosie auch so ganz deutlich vor mir, Daniel.« Sein Vater tippte sich an die Schläfe. »Hier oben.«
    »Vielleicht möchte Ketchum die Fotos haben«, sagte Danny.
    »Ketchum hatte seine eigenen Fotos von deiner Mutter, Daniel«, erwiderte der Koch.
    Im Laufe der Zeit hatte Ketchum Danny einige, aber keineswegs alle Fotos geschickt, die der Junge zwischen die Seiten der in Twisted River zurückgelassenen Romane gepresst hatte. »Hier, dieses Bild habe ich in einem ihrer Bücher gefunden«, stand dann jeweils in Ketchums Begleitbrief. »Ich dachte, du solltest es haben, Danny.«
    Danny hatte die Fotos behalten, wenn auch nach einigem Zögern. Joe sah sie sich gern an. Möglicherweise hatte der Koch recht: Vielleicht hatte Joe seine Risikofreude oder Waghalsigkeit von seiner Großmutter geerbt, nicht von Katie. Wenn Danny die Fotos seiner Mutter betrachtete, sah er eine hübsche Frau mit strahlend blauen Augen, doch die betrunkene Rebellin, die mit zwei ebenfalls betrunkenen Männern auf dem schwarzen Eis des Twisted River Do-si-do getanzt hatte - nun, diese Seite von Rosie Baciagalupo, geborene Calogero, war auf den Fotos, die ihr Sohn aufgehoben hatte, nicht zu sehen.
    »Behalte bloß seinen Alkoholkonsum im Auge«, hatte der Koch seinem Sohn eingeschärft - er meinte den von Joe.
    »Vermutlich geht er gelegentlich auf eine Party«, hatte Danny seinem Dad geantwortet, »aber vor mir trinkt Joe nicht.«
    »Was Joe vor dir trinkt, ist auch nicht das, worüber wir uns Sorgen machen müssen«, sagte der Koch.
    Man musste also ein Auge auf Joes Trinkgewohnheiten haben, dachte der Schriftsteller Danny Angel. Was die genetische Mitgift seines Sohns anging, so wusste Danny über die Mutter des Jungen mehr, als ihm lieb war; Katie Callahan hatte gesoffen wie ein Loch. Und als sie und Danny noch zusammen gewesen waren, hatte Katie auch mehr als nur »gelegentlich« Marihuana geraucht - und auch mehr als nur »ein wenig« gekifft, wie Danny nur zu gut wusste.
     
    Man könnte behaupten, das Windham College habe schon vor Ende des Vietnamkriegs in den letzten Zügen gelegen. Sinkende Studentenzahlen und das Unvermögen, einen Kredit zu tilgen, zwangen das College 1978 zur Schließung, doch Danny Angel spürte schon viel früher, dass Windham Probleme bekommen würde. 1972 kündigte er dort seine Stelle und nahm einen Lehrauftrag am Autorenworkshop der University of Iowa an. Noch

Weitere Kostenlose Bücher