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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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tja, vielleicht sagen diese Indianer, die in Iowa und sonstwo unter der Erde liegen, dass wir irgendwann genau das kriegen, was wir verdienen.«
     
    Wie ließe sich Ketchums politisches Credo beschreiben?, überlegte der Koch, als er Brattleboros Main Street entlang vom Book Cellar zu seinem Restaurant zurückhumpelte.
     
    live free or die
     
    Das stand in New Hampshire auf allen Autonummernschildern: Lebe frei oder stirb; es war zweifellos auch Ketchums Motto. Trotzdem fragte sich Tony Angel, ob sein alter Freund jemals wählen gegangen war. Der Waldarbeiter traute keiner Regierung und auch keinem, der damit etwas zu tun hatte. Für ihn gab es nur einen Grund dafür, Gesetze zu haben - oder sich auch nur an irgendwelche Regeln oder Vorschriften zu halten -, nämlich dass die Arschlöcher den vernünftigen Leuten zahlenmäßig überlegen waren. (Und natürlich galten die Gesetze nicht für Ketchum; er hatte immer ohne Regeln gelebt, wenn man von seinen eigenen absah.)
    Der Koch blieb stehen und schaute bewundernd den Hügel hinab auf sein eigenes Restaurant - das er schon immer hatte haben wollen.
     
    avellino
    italienische küche
     
    Avellino war der Name des anderen Bergorts (und der anderen Provinz) in der Nähe von Neapel, den Nunzi immer als zweiten gemurmelt hatte. Auf dem Schild stand italienische küche, nicht ristorante Italiano - aus dem gleichen Grund, weshalb sich Tony Angel als Koch sah und auch so bezeichnete, nicht als Küchenchef oder Chefkoch. Er würde immer nur ein gewöhnlicher Koch sein, dachte Tony; er hielt sich nicht für gut genug, um Chefkoch zu sein. In seinem Innersten war Dominic Baciagalupo - wie sehr ihm der Name
Dominic
fehlte! - ein einfacher Koch aus einem Holzfällercamp oder einem Sägewerksort.
    Tony Molinari war ein
Küchenchef,
dachte der Koch, und Paul Polcari auch. Tony Angel hatte von beiden viel gelernt - mehr, als Nunzi ihm je hätte beibringen können -, doch der Koch hatte auch gelernt, dass er nie so gut werden würde wie Molinari oder Paul.
    »Du hast kein Händchen für Fisch, Gamba«, hatte Molinari ihm möglichst schonend beizubringen versucht. Das stimmte. Auf der Speisekarte des Avellino stand nur ein Fischgericht, und Meeresfrüchte servierte der Koch höchstens mit Pasta - und auch nur, falls er Calamari bekam. (Er dünstete sie lange, in scharfer Marinarasauce mit schwarzen Oliven und Pinienkernen.) In Brattleboro bekam er meist nur gefrorene Calamari, was in Ordnung war, und der zuverlässigste frische Fisch war Schwertfisch. Er bereitete ihn, das hatte er bei Tony Molinari gelernt, mit Zitrone, Knoblauch und Oliven zu - entweder unter dem Bratrost oder auf dem Grill -, und zwar mit frischem Rosmarin, wenn der Koch welchen hatte, oder mit getrocknetem Oregano.
    Er machte keine
dolci.
Paul Polcari hatte ihn dezent darauf hingewiesen, dass der Koch auch kein Händchen für Nachspeisen hatte - genauer gesagt, für
italienische
Nachspeisen, dachte Tony Angel. Gut beherrschte er den in Sägewerksorten und Holzfällerlagern üblichen Nachtisch - Pies und Cobblers, also Obstkuchen und -auflaufe. (Mit Blaubeeren und Äpfeln konnte man in Vermont nichts falsch machen.) Im Avellino bot der Koch auch einen Gang mit Obst und Käse an. Viele seiner Stammgäste zogen das einem Dessert vor.
    Der Blick auf sein Avellino hatte Tony Angel vorübergehend von Ketchums politischem Credo abgelenkt, doch als er sich hügelabwärts wieder in Bewegung setzte, nahm er seine Überlegungen wieder auf. Wenn es um das ging, was andere Fortschritt nannten - Maschinen und alle möglichen anderen Apparate -, so hatte Ketchum etwas von einem Maschinenstürmer. Er trauerte nicht nur den Triften nach, sondern behauptete sogar, die Holzfällerei habe ihm vor Einführung der Motorsäge besser gefallen! (Doch Ketchum war ein echter Schusswaffenfan, dachte der Koch - Knarren gehörten zu
den
Maschinen, denen der alte Waldarbeiter etwas abgewinnen konnte.)
    Ketchum war weder liberal noch konservativ - libertär träfe es vielleicht am besten. Und freizügig war der Holzfäller auch, dachte Tony Angel, und (in jüngeren Jahren) außerdem liederlich und lasterhaft. Wieso musste der Koch jedes Mal, wenn er an Ketchum dachte, unweigerlich auch an Sex denken? (Der ehemalige Dominic Baciagalupo kannte natürlich den Grund; es deprimierte ihn nur immer, dass jeder Gedanke an Ketchum über kurz oder lang unweigerlich diese Wendung nahm.)
    Ketchum war außer sich gewesen, als Vater, Sohn und Enkel

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