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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Beziehung gegeben hatte, seit Danny Angel berühmt wurde -, so hatte Joe, als er ins Teenageralter kam, seinen Dad doch schon mit zahlreichen jungen Frauen erlebt. (Und auch mit drei oder vier deutlich älteren Frauen, dachte der Koch, darunter auch zwei von Daniels ausländischen Verlegerinnen.)
    Das Haus mit Grundstück in Putney war mittlerweile ein regelrechtes Anwesen geworden. Der Schriftsteller hatte das alte Farmhaus zu einem Gästehaus gemacht und für sich und Joe ein neues Haus gebaut, außerdem gab es noch ein freistehendes Gebäude, das Danny zum Schreiben nutzte. Sein »Schreibschuppen«, wie Daniel es nannte.
Schuppen
war gut!, dachte Tony Angel. Das Häuschen war nicht groß, hatte aber immerhin ein kleines Bad, ein Telefon, einen Fernseher und einen kleinen Kühlschrank.
    Danny wohnte zwar gern auf dem Land, war aber alles andere als ein Einsiedler, daher das Gästehaus. In seinem Leben als Schriftsteller hatte er eine ganze Reihe Stadtmenschen kennengelernt, die ihn besuchten - darunter gelegentlich Frauen. Hatte sich Joe dadurch, dass er den wechselnden Frauenbekanntschaften seines Vaters ausgesetzt war, als Jugendlicher zu einer Art Prep-School-Playboy entwickelt?, fragte sich Tony Angel. Er machte sich Sorgen um seinen Enkelsohn - mindestens so große wie dessen Vater. Ja, es galt, den Alkoholkonsum des Achtzehnjährigen im Auge zu behalten, denn Joe hatte die verschmitzte Unbekümmertheit eines jungen Mannes, der gern mal über die Stränge schlug.
    Seit dem Vietnamkrieg durfte man in vielen Bundesstaaten nun schon ab 18 Alkohol trinken, dahinter stand die Logik, dass Jugendliche wenigstens trinken dürfen sollten, wenn man sie schon in so zartem Alter zum Sterben schickte. Fast zehn Jahre nach Kriegsende, 1984, wurde das Trinkalter wieder auf 21 angehoben, doch heutzutage hatten viele junge Leute gefälschte Ausweise. Im Avellino bekam der Koch ständig welche zu sehen, und er wusste, dass sein Enkel keine Ausnahme war.
    Wirklich
Sorgen machte dem Koch, dass Joe bei Mädchen so schnell aufs Ganze ging. Wenn man bei Mädchen zu schnell zu weit ging, konnte einen das in ebenso große Schwierigkeiten bringen wie das Trinken, wie der ehemalige Dominic Del Popolo, vormals Baciagalupo, aus eigener Erfahrung wusste. Es hatte ihn selbst in Schwierigkeiten gebracht und Daniel auch.
    Trotz Carmellas Vertuschungsversuchen wusste Tony ganz genau, dass sie ihre Nichte Josie mit Daniel im Bett erwischt hatte; der Koch war sich sicher, dass sein Sohn mit mehr als einem der DiMattia-Mädchen gebumst hatte, noch dazu mit einer Saetta und der einen oder anderen Calogero! Doch Joe hatte Daniel mehr als einmal in Situationen erlebt oder gehört, die alles andere als jugendfrei waren und die Techtelmechtel seines Vaters mit seinen zärtlichen Cousinen weit in den Schatten stellten. Auch wusste Joes Großvater genau, dass sein Enkel mehr als nur ein paar Nächte im
Schülerinnenwohnheim
der nmh verbracht hatte. (Ein Wunder, dass der Junge noch nicht erwischt und von der Schule verwiesen worden war; doch was nicht war, konnte ja jetzt, im Frühlingssemester seines Abschlussjahres, noch werden!) Es gab Dinge, die Joes Vater nicht wusste, sein Großvater aber wohl.
    In der Panik seiner letzten Nacht in Twisted River hatte der Koch zum ersten Mal gebetet - bisher war es bei diesem einzigen Mal geblieben. Bitte, Gott, gib mir
Zeit,
hatte Tony Angel, lang war's her, gebetet, als er das Gesicht seines Zwölfjährigen hinter der regennassen Windschutzscheibe des Chieftain Deluxe sah. (Danny hatte auf dem Beifahrersitz gesessen und gewartet, als hätte er nie daran gezweifelt, dass sein Vater wohlbehalten aus Constable Carls Wohnung zurückkommen würde, nachdem er Indianer-Janes Leiche dort abgelegt hatte.)
    Egal, wie oft sich der Koch und Ketchum über Danny Angels Romane unterhielten - und nicht nur über das, was in ihnen stand, sondern auch, noch wichtiger, über das, was der Schriftsteller offenbar absichtlich wegließ -, eins fiel den beiden unweigerlich auf, nämlich wie sehr die Bücher von Dannys
Ängsten
handelten. Vielleicht ist das das Werk der Phantasie, dachte Tony, als er unter die feuchten Tücher spähte, die seinen Pizzateig bedeckten; der Teig war noch nicht so weit aufgegangen, dass er ihn hätte durchkneten und runterdrücken müssen. Danny Angels Romane hatten viel mit den Unglücksfällen zu tun, die eintreffen
könnten
und vor denen er sich fürchtete. Oft handelten Dannys Geschichten von Alpträumen

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