Letzte Nacht in Twisted River
schlafenden Jungen werfen konnten. »Seht ihr?«, flüsterte Tony den Zwillingen zu, während Danny verstört und schlaftrunken in seinem Bett lag. »Dieses Kind ist ein Engel - absolut pflegeleicht.«
Der Koch war dagegen, dass Danny Studenten aus seinem Workshop bat, auf Joe aufzupassen. Dannys Studenten waren Schriftsteller - und folglich, wie Tony glaubte, mit den Gedanken oft woanders. »Junge Schriftsteller leben schließlich in ihrer Phantasie, nicht wahr?«, hatte der Koch seinen Sohn gefragt. (Wie Danny wusste, hatte sein Dad allem, was mit Phantasie zusammenhing, schon immer misstraut.) Außerdem hatten diese jungen Schriftsteller alle schon einen ersten Uniabschluss, und viele waren auch noch älter als die üblichen Graduierten. »Sie sind zu
alt,
um gute Babysitter zu sein!«, hatte der Koch erklärt. Diese Theorie war Danny neu, doch er mochte Sao und Kaori, die eineiigen Zwillinge - auch wenn er sie einfach nicht auseinanderhalten konnte. (Joe dagegen gelang es im Laufe der Zeit, und nur darauf kam es schließlich an.)
»Die Yokohamas«, wie Danny die Zwillinge insgeheim nannte - als wäre Yokohama ihr Nachname -, waren Studentinnen, die nebenbei als Kellnerinnen im Mao's arbeiteten. Iowa City bekam durch sie einen ausgesprochen asiatischen Touch - nicht nur für den Koch, sondern auch für Danny und den jungen Joe. Untereinander redeten die Zwillinge japanisch, was Joe mochte, doch Danny fand es irritierend. An den meisten Abenden aber, wenn Sao im Mao's kellnerte und Kaori auf Joe aufpasste (oder umgekehrt), wurde kein Japanisch gesprochen.
Yi-Yiing gegenüber waren die Yokohamas zunächst respektvoll-distanziert. Ihr Krankenhaus-Dienstplan erlaubte ihr nur selten, gleichzeitig mit Sao oder Kaori zu Hause zu sein. Eher noch liefen sie einander im Mao's über den Weg, wo Yi-Yiing gelegentlich spät (und allein) zu Abend aß - selten allerdings, denn sie zog die Nachtschicht in der Notaufnahme der Tagschicht vor.
Eines Abends, Xiao Dee hatte als Oberkellner Dienst, hielt er Yi-Yiing irrtümlich für eine neue Kellnerin. »Du bist spät dran!«, sagte er zu ihr.
»Ich bin Gast. Ich habe einen Tisch reserviert«, entgegnete Yi-Yiing.
»Mist - Sie sind Tonys Krankenschwester!«, sagte Xiao Dee.
»Tony ist noch zu jung, er braucht keine Krankenschwester«, hatte Yi-Yiing erwidert.
Später versuchte der Koch, Xiao Dee in Schutz zu nehmen. (»Er ist ein prima Fahrer, aber ein mieser Oberkellner.«) Doch Yi-Yiing reagierte beleidigt.
»Für die Amerikaner bin ich Vietnamesin, und irgendein Schanghaier Trottel aus Queens hält mich für eine
Kellnerini«,
sagte sie zu Tony.
Leider hörte eine der japanischen Zwillinge, die ja Kellnerin - und zu diesem Zeitpunkt auch Joes Babysitterin -
war,
zufällig Yi-Yiings Bemerkung mit. »Was ist denn so schlimm daran,
Kellnerin
zu sein?«, wollte Sao oder Kaori von der Krankenschwester wissen.
Auch die japanischen Zwillinge hatte man in Iowa City schon für vietnamesische »Kriegsbräute« gehalten. In ihrer Heimatstadt San Francisco, hatte Sao oder Kaori Danny erzählt, könnten die meisten Leute Japaner und Vietnamesen auseinanderhalten, aber im Mittleren Westen offenbar nicht. Was sollte Danny, wenn er ehrlich war, zu diesem peinlichen Alle-in-einen-Topf-Werfen schon sagen? Schließlich konnte er selbst Sao und Kaori immer noch nicht auseinanderhalten! (Und nachdem Yi-Yiing das Wort
Kellnerin
so abfällig verwendet hatte, wurde die respektvolle Distanz der Yokohamas gegenüber der Krankenschwester aus Hongkong noch distanzierter.)
»Wir sind alle eine glückliche Familie«, behauptete Danny später vor einer seiner älteren Studentinnen. Youn war eine aus Seoul stammende Schriftstellerin, die im zweiten Jahr nach seiner Rückkehr nach Iowa City an Dannys Literaturworkshop teilnahm. Zu den Studenten gehörten damals auch ein paar, ebenfalls ältere, Vietnamveteranen und einige Autorinnen, die ihre literarische Laufbahn unterbrochen hatten, um zu heiraten, Kinder zu kriegen und sich scheiden zu lassen. Diese älteren Graduierten hatten den jüngeren Autoren, die gleich nach dem College an den Autorenworkshop kamen, etwas voraus: Die Alteren hatten Dinge erlebt, über die sie schreiben konnten; sie hatten etwas zu erzählen.
Auf Youn traf das gewiss zu. Man hatte sie in Seoul zu einer Ehe gezwungen -
»praktisch
zwangsverheiratet«, wie sie es in dem Roman, an dem sie damals schrieb, zuerst formuliert hatte.
Danny hatte sich an dem
praktisch
gestoßen.
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