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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Koch eines Tages beklagt. »Und wie viele deiner Fans dich in ihren Briefen mit Vornamen anreden, als wärt ihr
Freunde!
Mir würde das auf die Nerven gehen - wenn lauter Unbekannte so tun, als würden sie einen kennen.«
    »Nenn mir ein Beispiel, Paps«, hatte Danny erwidert.
    »Tja, ich weiß auch nicht«, hatte Dominic gemeint. »Ich hab nämlich mehr Post weggeschmissen, als ich dir gezeigt habe. Letzte Woche kam ein Brief - was weiß ich, vielleicht war sie eine
Stripperin.
Jedenfalls
hieß
sie wie eine Stripperin.«
    »Und zwar?«, hatte Danny seinen Dad gefragt.
    »>Lady Sky<«, hatte der Koch geantwortet. »Klingt für mich nach einer Stripperin.«
    »Ich glaube, ihr richtiger Name ist Amy«, hatte Danny gesagt und versucht, ruhig zu bleiben.
    »Du
kennst
sie?«
    »Ich kenne nur eine Lady Sky.«
    »Das tut mir jetzt leid, Daniel - ich dachte einfach, sie wäre durchgeknallt.«
    »Was hat sie geschrieben, Paps, weißt du das noch?«
    Natürlich hatte der Koch nicht mehr alle Details im Kopf, nur dass die Frau anmaßend und gestört gewirkt habe. Sie hatte irgendeinen Quatsch darüber geschrieben, wie Joe sie vor Schweinen beschützt hätte und dass sie nicht mehr fliege, als hätte sie früher mal fliegen können.
    »Wollte sie eine Antwort von mir?«, fragte Danny seinen Dad. »Weißt du noch, woher der Brief kam?«
    »Tja, da war bestimmt ein Absender -
alle
wollen, dass du ihnen antwortest!«, rief der Koch.
    »Ist ja in Ordnung, Paps, ich mach dir keine Vorwürfe«, sagte Danny. »Vielleicht schreibt sie ja noch mal.« (Was er nicht glaubte, und das tat ihm von Herzen leid.)
    »Ich hatte ja keine Ahnung, dass du von einer Person namens Lady Sky hören
wolltest,
Daniel«, sagte der Koch.
    Irgendetwas musste mit Amy geschehen sein, dachte Danny, aber was? Man sprang nicht grundlos nackt aus Flugzeugen.
    »Für mich stand fest, dass sie verrückt ist, Daniel. Sie schrieb, sie hätte ebenfalls ein Kind verloren. Ich dachte, ich erspare dir solche Briefe lieber. Davon gab es eine ganze Menge.«
    »Vielleicht solltest du mir diese Briefe zeigen, Dad«, sagte Danny.
    Nachdem er erfahren hatte, dass Lady Sky ihm geschrieben hatte, bekam Danny noch ein paar Briefe von Fans, die ebenfalls Kinder verloren hatten, konnte aber keinen einzigen dieser Briefe beantworten. Diese Menschen konnte er nicht trösten, das wusste Danny, weil er einer von ihnen war. Er fragte sich off, wie Amy damit fertig geworden war. Danny glaubte, dass es ihn in seinem neuen Leben ohne Joe nicht viel Überwindung gekostet hätte, nackt aus einem Flugzeug zu springen.
     
    In Danny Angels Schreibzimmer im zweiten Stock des Hauses am Cluny Drive gab es außer dem Fenster mit Blick auf den Uhrenturm des Spirituosenladens noch ein Oberlicht. Der Raum war einmal Joes Schlafzimmer gewesen, das den ganzen zweiten Stock einnahm und ein eigenes Bad hatte, mit Dusche, aber ohne Wanne. Für einen Studenten wie Joe genügte eine Dusche, aber der Koch hatte sich über die extravagante Größe des Schlafzimmers gewundert - von dem erstklassigen Blick ganz zu schweigen. War das nicht eine Verschwendung, da Joe in den Staaten studierte und nur selten nach Toronto kam?
    Doch Danny hatte dafür plädiert, Joe das beste Zimmer zu geben, weil sein Sohn dann vielleicht öfter nach Hause käme. Dass dieser Raum isoliert im zweiten Stock lag, machte es außerdem zum abgeschiedensten Zimmer des Hauses, und da - aus Sicherheitsgründen - kein Zimmer im zweiten Stock ohne Feuertreppe sein durfte, hatte Danny eine bauen lassen. Daher hatte das Zimmer einen eigenen Eingang. Als Joe starb und Danny das Schlafzimmer des Jungen zu einem Schreibzimmer umbaute, ließ er die Habseligkeiten seines Sohnes, wo sie waren; nur das Bett hatte er entfernen lassen.
    Joes Kleidung blieb im Schrank und in der Kommode, sogar seine Schuhe standen an ihrem alten Platz, alle mit offenen Schnürsenkeln. Wenn Joe ein Paar Schuhe auszog, hatte er nie zuerst die Schnürsenkel gelöst. Er hatte die Schuhe immer von den Füßen getreten, und die Senkel blieben fest geschnürt, mit einem Doppelknoten wie bei einem kleinen Jungen, bei dem sie ständig aufgehen. Danny hatte Joes Schuhe immer für ihn aufgeknotet, wenn er irgendwo auf sie gestoßen war. Es dauerte noch einige Monate nach Joes Tod, bis Danny Joes letzte Schnürsenkel aufgeknotet hatte.
    Mit Joes Ringer- und Skifotos an den Wänden war das sogenannte Schreibzimmer ein regelrechter
Schrein
für den toten Jungen. Der Koch hielt es für

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