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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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anschließend getrennte, aber in den Untergang führende Wege gehen.
    Natürlich veränderte sich der Roman. Nach dem Tod seines Sohnes schrieb Danny Angel über ein Jahr lang nicht mehr. Nicht das Schreiben an sich war schwer, wie Danny seinem Freund Armando DeSimone gestand, sondern sich etwas
vorzustellen.
Immer wenn Danny versuchte, sich irgendetwas vorzustellen, sah er nur vor sich, wie Joe gestorben war; außerdem stellte er sich ständig die kleinen Details vor, die anders hätten sein können, diese unendlich kleinen Details, die hätten bewirken können, dass sein Sohn am Leben geblieben wäre. (Wenn Joe nur das gemacht hätte, statt...; wenn der Koch und sein Sohn zu der Zeit nicht gerade in Toronto gewesen wären ...; wenn Danny ein Haus in Boulder statt in Winter Park gekauft oder gemietet hätte ...; wenn Joe nie Ski fahren gelernt hätte ...; wenn sie, Ketchums Rat folgend, nie nach Vermont gezogen wären...; wenn eine Lawine die Straße über den Berthoud Pass verschüttet hätte ...; wenn Joe zu betrunken gewesen wäre, um zu fahren, statt völlig nüchtern zu sein ...; wenn der Beifahrer ein anderer junger Mann gewesen wäre, nicht dieses Mädchen...; wenn Danny nicht verliebt gewesen wäre...) Gab es denn etwas, was sich ein Schriftsteller
nicht
vorstellen konnte?
    Was hatte sich Danny nicht alles vorgestellt, und sei es nur, um sich zu quälen? Danny konnte Joe nicht wieder lebendig machen; was seinem Sohn widerfahren war, konnte er nicht ändern, wie ein Schriftsteller einen Roman umschreiben kann.
    Als das Jahr zu Ende war und Danny Angel es endlich über sich brachte, noch einmal zu lesen, was er in
Baby auf der Straße
geschrieben hatte, kam ihm der Unfalltod des Zweijährigen in Windeln, mit dem das Buch einmal begonnen hatte, von den anschließenden Qualen der Eltern ganz zu schweigen, fast belanglos vor. War es nicht schlimmer, wenn ein Kind beim ersten Mal dem Tod von der Schippe sprang und heranwuchs - nur um etwas später zu sterben, als junger Mann in der Blüte seiner Jahre? Und die Geschichte auf diese Art
schlimmer
zu machen - die Ereignisse also noch herzzerreißender -, machte das den Roman nicht
besser!
Zweifellos, wie Danny glaubte. Er hatte
Baby auf der Straße
von Anfang bis Ende umgeschrieben. Das hatte weitere fünf, fast sechs Jahre gedauert.
    Was nicht überraschte: Das Thema des Romans änderte sich nicht. Wie sollte es auch? Danny hatte erlebt, was es bedeutete, wenn man ein Kind verlor; dass die Details andere waren, machte kaum etwas aus.
    Baby auf der Straße
erschien 1995, elf Jahre nach
jenseits von Bangor
und acht Jahre nach Joes Tod. In der überarbeiteten Fassung wächst der Zweijährige zu einem draufgängerischen jungen Mann heran; er stirbt in Joes Alter, mit 22, noch als Student. Die Polizei geht davon aus, dass es ein Unfall war, es könnte aber auch Selbstmord gewesen sein. Anders als Joe ist die Figur in Dannys siebtem Roman zum Zeitpunkt seines Todes betrunken; außerdem hat er massenweise Barbiturate geschluckt. Er bekommt ein Schinkensandwich in die Luftröhre und erstickt an Erbrochenem.
    Tatsächlich war Joe in seinem letzten Studienjahr weniger draufgängerisch als vorher. Seinen Alkoholkonsum hatte er unter Kontrolle. Er fuhr schnell Ski, hatte aber keine Unfälle. Offenbar war er auch ein guter Autofahrer, denn in den ganzen vier Jahren in Colorado bekam er keinen einzigen Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens. Selbst bei den Frauen war er weniger draufgängerisch - jedenfalls war das seinem Großvater und seinem Dad so vorgekommen. Natürlich hatten sich der Koch und sein Sohn immerzu Sorgen um den Jungen gemacht, doch während seines Studiums hatte Joe ihnen kaum Anlass zur Sorge gegeben. Und auch seine Noten waren gut - besser als vorher auf der Northfield Mount Hermon. (So wie viele ehemalige Internatsschüler behauptete Joe immer, das College sei leichter.)
    Als Romancier hatte sich Danny Angel große Mühe gegeben, die selbstmordgefährdete Hauptfigur in
Baby auf der Straße
so zu gestalten, dass sie Joe möglichst wenig ähnelte. Der junge Mann in dem Buch ist ein sensibler Künstlertyp. Er ist gesundheitlich angeschlagen - von Anfang an scheint ihm ein früher Tod beschieden zu sein -, und er ist kein Sportler. Der Roman spielt in Vermont, nicht in Colorado. Nach der Überarbeitung ist die unberechenbare Mutter des Jungen nicht unberechenbar genug, um als Katie durchzugehen, allerdings hat sie, genau wie ihr todgeweihter Sohn, ein

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