Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
masochistisch von seinem Sohn, ausgerechnet dort zu schreiben, doch Dominics Hinken hinderte ihn daran, regelmäßig im zweiten Stock nach dem Rechten zu sehen; auch wenn Daniel weg war, bemühte sich Dominic nur selten dorthinauf. Da das Bett weg war, würde dort kein anderer schlafen - offenbar wollte Danny das so.
    Als Joe noch lebte und nach Toronto zu Besuch kam, hörten Dominic und Danny es immer, wenn der Junge seine Schuhe wegschleuderte, die dann wie zwei Steine über ihnen zu Boden fielen - und danach das dezente Knacken der Holzdielen, wenn Joe barfuß oder in Socken oben umherging. In den drei Schlafzimmern im ersten Stock hörte man auch die Dusche im zweiten. Jedes der Zimmer im ersten Stock hatte sein eigenes Bad, und Dannys und das des Kochs lagen an entgegengesetzten Enden des langen Flurs, so dass Vater und Sohn eine gewisse Privatsphäre hatten, weil das Gästezimmer zwischen ihnen lag.
    Dieses Gästezimmer und das dazugehörige Bad waren erst kürzlich für Ketchums allweihnachtlichen Besuch auf Vordermann gebracht worden. Durch die offene Tür fiel Vater und Sohn die Vase mit frischen Blumen auf, die die Putzfrau auf die Kommode im Gästezimmer gestellt hatte. Im Spiegel der Kommode sah man den Strauß noch einmal, so dass es vom Flur aus schien, als stünden dort
zwei
Sträuße. (Nicht dass Ketchum selbst ein
Dutzend
Sträuße in seinem Zimmer bemerkt oder gewürdigt hätte, dachte der Koch.)
    Insgeheim schwärmte die Putzfrau wohl für Ketchum, dachte Danny, obwohl sein Vater behauptete, Lupita würde den Holzfäller wegen seines Alters bemitleiden. Die Blumen seien ein Hinweis darauf, wie nahe Ketchum für sie dem Tod sei, behauptete Dominic - »so wie man Leuten Blumen aufs Grab stellt«.
    »Das ist nicht dein Ernst«, sagte Danny seinem Dad.
    Und doch war das mit den Blumen und Lupita rätselhaft. Die mexikanische Putzfrau stellte keinem anderen Gast Blumen aufs Zimmer, dabei war dieses Zimmer sogar ziemlich oft belegt - nicht nur über Weihnachten. Salman Rushdie, der Schriftsteller, gegen den eine Fatwa verhängt worden war, stieg dort manchmal ab, wenn er in Toronto zu tun hatte, genau wie andere Schriftstellerfreunde Danny Angels aus Europa oder den usa. Armando und Mary DeSimone zum Beispiel kamen mindestens zweimal im Jahr nach Toronto und wohnten dann immer am Cluny Drive.
    Auch viele ausländische Verlegerinnen und Verleger Dannys hatten schon in diesem Gästezimmer geschlafen. Die meisten Bücher in dem Zimmer waren Übersetzungen von Danny Angels Romanen. Auch hing darin ein gerahmtes Werbeplakat für die französische Ausgabe von
Baby auf der Straße
und im angrenzenden Bad ein übergroßes Poster der deutschen. Doch Blumen standen in den Augen der Putzfrau nur Ketchum zu.
    Lupita war eine verletzte Seele und erkannte unweigerlich, wenn anderen Leid zugefügt worden war. Dannys Schreibzimmer in der zweiten Etage konnte sie nicht putzen, ohne zu weinen, dabei war Lupita Joe nie begegnet; in den Jahren, als Joe in Colorado studiert hatte, war er immer nur kurz zu Besuch gekommen, ganz abgesehen davon, dass Danny und Dominic damals das »mexikanische Wunder« (wie der Koch es ausdrückte) noch gar nicht kennengelernt hatten. Damals hatten sie eine ganze Reihe Putzfrauen gehabt, mit denen sie unzufrieden waren.
    Sie hatten Lupita erst relativ kürzlich entdeckt, dennoch rührten diese beiden traurigen Herren, die einen Sohn beziehungsweise Enkel verloren hatten, sie sichtlich. Dem Koch sagte sie, sie mache sich Sorgen, ob Danny damit fertig werde, doch zu Danny sagte sie nur: »Ihr Junge ist im Himmel - viel höher als im zweiten Stock, Senor Angel.«
    »Ihr Wort in Gottes Ohr, Lupita«, hatte Danny erwidert.
    »Enfermo?«,
erkundigte sich Lupita immer wieder - nicht nach dem sechsundsiebzigjährigen Koch, sondern nach seinem depressiven achtundfünfzigjährigen Sohn.
    »Nein, ich bin nicht krank, Lupita«, antwortete ihr Danny jedes Mal.
»Yo solo soy un escritor.«
(»Ich bin nur ein Schriftsteller« - als erklärte das seinen in ihren Augen erbärmlichen Zustand.)
    Auch Lupita hatte ein Kind verloren; mit Danny konnte sie nicht darüber reden, aber sie hatte es dem Koch erzählt. Einzelheiten erfuhr er nicht, und der Vater des Kindes, ein Kanadier, wurde nur beiläufig erwähnt. Falls Lupita jemals einen Ehemann gehabt hatte, so hatte sie auch ihn verloren. Danny glaubte nicht, dass es in Toronto viele Mexikaner gab, aber wahrscheinlich würden bald mehr kommen.
    Mit ihrer glatten

Weitere Kostenlose Bücher