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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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übernommen hatte und falls der Koch an der Gesamtgestaltung kaum beteiligt war, dann würde das die scheinbare Beliebigkeit der Arrangements erklären. (Es würde außerdem erklären, warum nie ein Foto von Ketchum in die Schubladen wanderte, seit Lupita bei ihnen arbeitete.)
    Wie war es dem 83-jährigen Holzfäller gelungen, bei einer mexikanischen Putzfrau von Mitte sechzig einen so nachhaltig romantischen Eindruck zu hinterlassen?, überlegte Danny. Dem Koch schien allein von dem Gedanken schlecht zu werden; Lupita konnte Ketchum höchstens zwei-, dreimal begegnet sein. »Es muss daran liegen, dass Lupita eine so glühende Katholikin ist!«, hatte Dominic ausgerufen.
    Wie Danny wusste, glaubte sein Dad, wenn eine Frau nicht verrückt war und sich zu Ketchum hingezogen fühlte, konnten dahinter nur Aberglaube oder andere absurde Gründe stecken.
     
    Inzwischen war Danny nach unten in sein Schlafzimmer gegangen und zog jetzt seine Sportkleidung an. In dem Zimmer gab es keine Fotos von Joe; Danny hatte auch ohne Bilder seines toten Sohnes schon genug Schlafstörungen. Außer wenn er abends zum Essen oder ins Kino ging, verließ Danny selten das Haus am Cluny Drive, und sein Dad arbeitete an den meisten Abenden. Unter Vorruhestand verstand Dominic, dass er jeden Abend, und selbst wenn das Patrice rappelvoll war, gegen halb elf, elf nach Hause ging; das war für ihn Ruhestand genug.
    Wenn Danny auf Lesereise oder aus anderen Gründen nicht in der Stadt war, ging der Koch ins Schlafzimmer seines Sohnes - nur um sich in Erinnerung zu rufen, was hätte sein können, wenn Joe nicht gestorben wäre. Dominic Baciagalupo litt darunter, dass die einzigen Fotos im Schlafzimmer seines geliebten Sohns solche von der Drehbuchautorin Charlotte Turner waren, die 15 Jahre jünger als Daniel war - und wow, so sah sie auch aus. Charlotte war erst 27, als sie Daniel kennenlernte - 1984, da war er 42. (Das war, kurz nachdem der Koch und sein Sohn nach Kanada gezogen waren.
Jenseits von Bangor
war gerade erst veröffentlicht worden, und Joe beendete sein erstes Studienjahr in Colorado.) Charlotte war nur acht Jahre älter als Joe, und sie war eine
sehr
jung aussehende 27-Jährige gewesen.
    Inzwischen war sie eine sehr jung aussehende Dreiundvierzigjährige, überlegte der Koch. Dominic schmerzte es, die Fotos von Charlotte zu sehen und darüber nachzudenken, wie sehr er die junge Frau mochte; in den Augen des Kochs wäre Charlotte die perfekte Ehefrau für seinen einsamen Sohn gewesen.
    Doch abgemacht war abgemacht. Charlotte hatte Kinder haben wollen - »Nur ein Kind, wenn du darauf bestehst«, hatte sie zu Danny gesagt -, und Danny hatte versprochen, ihr eins zu schenken. Es gab nur eine Bedingung. (Nun, vielleicht war das Wort
Bedingung
nicht ganz zutreffend - vielleicht war es eher eine
Bitte
gewesen.) Würde Charlotte damit warten, bis Joe seinen Studienabschluss gemacht hatte? Damals hatte Joe noch drei Jahre auf der Universität von Colorado vor sich, doch Charlotte war einverstanden gewesen; wenn Joe sein Studium abschloss, würde sie erst dreißig sein. Sie und Daniel hatten einander sehr geliebt. Sie waren sehr glücklich zusammen gewesen, und die drei gemeinsamen Jahre waren für sie wie im Flug vergangen.
    Mit 27 verkündete Charlotte Turner gern und emphatisch, sie habe ihr »ganzes Leben lang« in Toronto gelebt. Was wichtiger war: Sie hatte nie mit jemandem zusammengelebt - und keinen festen Freund länger als ein halbes Jahr gehabt. Als sie Danny kennenlernte, wohnte sie im Haus ihrer verstorbenen Großmutter in Forest Hill. Ihre Eltern wollten es verkaufen, doch Charlotte überredete sie, es an sie zu vermieten. Zu Lebzeiten ihrer Großmutter war das Haus voller altem Krempel gewesen, doch Charlotte hatte das Mobiliar auf einer Auktion verkauft und das Erdgeschoss zu ihrem Büro und einem kleinen Filmvorführraum umbauen lassen; oben, wo es nur ein Bad gab, hatte sie aus drei kleineren, praktisch nie benutzten Zimmern ein großes Schlafzimmer gemacht. Charlotte kochte nicht, und dafür, Gäste zu bewirten, war das Haus ungeeignet - die uralte Küche ihrer Großmutter hatte sie unverändert gelassen, weil sie ihr völlig ausreichte. Keiner von Charlottes Kurzzeitfreunden hatte je eine Nacht in dem Haus verbracht - Danny war der Erste -, und Charlotte zog nie richtig zu Danny an den Cluny Drive.
    Dominic hatte angeboten auszuziehen. Er sah sich als potentiellen Eindringling in die Privatsphäre seines Sohnes, und Dominic

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