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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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gesagt«, flüsterte der Junge.
    Sie umarmte ihn und küsste ihn aufs Ohr. Sie lag auf der Bettdecke und er darunter, doch er fühlte, wie sich ihr Körper gegen seinen Rücken presste. »Ein netteres Angebot bekomme ich nie, das weiß ich«, sagte seine Doch-nicht-Cousine.
    »Vielleicht könnten wir heiraten, wenn ich ein bisschen älter bin«, schlug Dominic vor.
    »Vielleicht machen wir das wirklich!«, rief die junge Frau und umarmte ihn wieder.
    Meinte sie das ernst, überlegte der Sechzehnjährige, oder war das nur freundlich gemeint?
    Im Bad, wo Annunziata das Badewasser ablaufen ließ und die Wanne putzte, waren die Stimmen der zwei hörbar, aber unverständlich. Nunzi war überrascht, dass Dominic sprach; der Junge - der noch mitten im Stimmbruch steckte - war eigentlich wortkarg. Doch in dem Augenblick, als sie Rosie »Vielleicht machen wir das wirklich!« sagen hörte, fing Dominic an zu reden, und er redete immer weiter, und die Einwürfe der jungen Frau wurden leiser, aber länger. Was die beiden sagten, blieb unklar, doch sie flüsterten so atemlos wie Liebende.
    Während Annunziata weiter zwanghaft die Badewanne schrubbte, fragte sie sich nicht mehr, ob die Fehlgeburt ein Fluch oder ein Segen war. Es ging nicht mehr um die Fehlgeburt, sondern um Rosie Calogero selbst: War
sie
ein Segen oder ein Fluch? Was hatte sich Nunzi nur dabei gedacht? Sie hatte ihr Haus einer hübschen, intelligenten (und offenkundig äußerst emotionalen) jungen Frau geöffnet - die von ihrem Liebhaber sitzenlassen und von ihrer Familie verstoßen worden war -, ohne zu merken, was für eine unwiderstehliche Verlockung die Dreiundzwanzigjährige für einen einsamen Halbwüchsigen sein würde.
    Annunziata erhob sich und ging durch den Flur, wobei ihr auffiel, dass die Schlafzimmertür ihres Sohnes einen Spaltbreit offen stand und drinnen immer noch geflüstert wurde. In der Küche nahm Nunzi eine Prise Salz und warf sie sich über die Schulter. Sie widerstand dem Drang, die beiden zu stören, meldete sich aber - nachdem sie ein paar Schritte zurück in den Flur gegangen war - mit lauter Stimme zu Wort.
    »Meine Güte, Rosie, du musst mir verzeihen«, verkündete Annunziata. »Ich habe dich nie gefragt, ob du wieder
zurück nach Boston
möchtest!« Nunzi hatte versucht, das nicht so klingen zu lassen, als wäre es ihre Idee, und sich bemüht, ihrer Stimme einen neutralen oder gleichgültigen Klang zu geben, als hätte sie ausschließlich Rosies Pläne und Wünsche im Sinn. Doch das Gemurmel aus Dominics Zimmer wurde von einem abrupten, tiefen, gemeinsamen Atemholen unterbrochen.
    Dass der an ihren Oberkörper gepresste Junge abrupt nach Luft schnappte, merkte Rosie in dem Moment, als sie es selbst tat. Die beiden reagierten so perfekt im Gleichklang, als hätten sie die Antwort geprobt. »Nein!«, hörte Annunziata ihren Sohn und Rosie im Chor rufen.
    Ganz eindeutig kein Segen, dachte Nunzi, als sie Rosie sagen hörte: »Ich will hierbleiben, bei dir und Dominic. Ich will an der Schule unterrichten. Ich will
nie wieder
zurück nach Boston!« (Was ich ihr nicht verdenken kann, dachte Annunziata. Sie kannte dieses Gefühl.)
    »Ich will, dass Rosie bleibt!«, hörte Nunzi ihren Sohn rufen.
    Aber
natürlich
willst du das, dachte Annunziata. Doch welche Auswirkungen hätte der Altersunterschied zwischen den beiden? Und was würde geschehen, wenn es Krieg gäbe und alle jungen Männer eingezogen würden? (Nicht aber ihr geliebter Wolfskuss - nicht mit einer solchen Gehbehinderung, das wusste Nunzi.)
     
    Rosie Calogero behielt ihre Arbeit und machte sie gut. Auch der junge Koch behielt seine Arbeit und machte sie gut - so gut, dass das Frühstückscafe inzwischen auch Mittagessen servierte. Schon nach kurzer Zeit kochte Dominic Baciagalupo viel besser als seine Mom. Und egal, was der junge Koch mittags zubereitete, das Beste davon brachte er fürs Abendessen mit nach Hause. Er verpflegte seine Mutter und seine Doch-nicht-Cousine sehr gut.
    Gelegentlich kochten Mutter und Sohn noch gemeinsam, doch in den meisten kulinarischen Disziplinen ließ Dominic Annunziata hinter sich.
    Dominic machte Hackbraten mit Worcestershiresauce und Provolonekäse, den er warm mit seiner vielseitig einsetzbaren Marinarasauce servierte - oder kalt mit Apfelmus. Er machte panierte Hähnchenschnitzel
alia parmigiana.
In Boston, erzählte ihm seine Mutter, habe sie
Kalbsschnitzel
mit Parmesan zubereitet, doch in Berlin bekam man kein gutes Kalbfleisch. Dominic

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