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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sonst wurde Dominic allmählich zum Hauptkoch des kleinen Haushalts. Er rührte in seiner Marinarasauce und sagte: »Also,
ich
könnte Rosie doch heiraten oder
so
tun,
als wäre ich ihr Mann - bis sie einen Geeigneteren findet. Das muss doch keiner erfahren, oder?«
    Für Annunziata war das ein nettes, unschuldiges Angebot; sie lachte und umarmte ihren Sohn. Doch der junge Dom konnte sich für Rosie keinen Geeigneteren vorstellen als sich selbst - das mit dem
so
tun
hatte er nicht ernst gemeint. Er hätte Rosie richtig geheiratet. Der Altersunterschied und dass sie um ein paar Ecken miteinander verwandt waren, stellte für ihn kein Hindernis dar.
    Für Rosie wiederum spielte es keine Rolle, dass der nette, aber eben
nicht
so unschuldige Antrag des Sechzehnjährigen unrealistisch - und wahrscheinlich strafbar - war, sogar im Norden New Hampshires. Was die arme junge Frau, die noch im ersten Drittel ihrer Schwangerschaft war, wirklich erboste, war die Tatsache, dass der Hallodri, der sie geschwängert hatte,
nicht
angeboten hatte, sie zu heiraten, obwohl erheblicher Druck auf ihn ausgeübt worden war.
    Den Vorlieben der männlichen Mitglieder der Familien Saetta und Calogero entsprechend, nahm dieser »Druck« die Gestalt zahlreicher Kastrationsdrohungen an und gipfelte in der Aussicht auf einen Tod durch Ertrinken. Ob der Hallodri das Schiff nach Neapel oder Palermo nahm, ließ sich nicht klären, doch ein Heiratsantrag blieb aus. Dominics spontaner und von Herzen kommender Vorschlag war der erste Antrag gewesen, den Rosie je erhalten hatte. Überwältigt brach sie am Küchentisch in Tränen aus, noch ehe Dominic die Garnelen in der Marinarasauce pochieren konnte. Schluchzend ging die verstörte junge Frau ohne Abendessen ins Bett.
    Nachts wurde Annunziata durch die irritierenden Geräusche von Rosies Fehlgeburt wach - »irritierend«, weil Nunzi in diesem Moment nicht wusste, ob der Verlust des Babys ein Segen oder ein Fluch war. Dominic Baciagalupo lag in seinem Bett und hörte seine Cousine zweiten Grades (oder seine Großcousine) weinen. Ständig wurde die Toilettenspülung betätigt, die Badewanne füllte sich - offenbar war Blut geflossen -, und all das wurde vom mitfühlenden Säuseln seiner Mutter begleitet. »Rosie, vielleicht ist es besser so«, sagte sie mit ihrer trostreichsten Stimme. »Jetzt musst du nicht aufhören zu arbeiten - nicht einmal vorübergehend! Wir müssen dir auch keinen Ehemann besorgen - weder einen echten noch einen von der imaginären Sorte! Hör mir zu, Rosie - es war kein Baby, noch nicht.«
    Doch Dominic lag da und fragte sich: Was habe ich nur getan? Selbst eine imaginäre Ehe sorgte bei dem Jungen beinahe für eine Dauererektion. (Na ja, kein Wunder, er war 16 Jahre alt!) Als er hörte, dass Rosie nicht mehr weinte, hielt der junge Dominic den Atem an. »Ob Dominic mich gehört hat - glaubst du, ich habe ihn geweckt?«, hörte er Rosie seine Mutter fragen.
    »Der Junge schläft wie ein Toter«, antwortete Nunzi, »aber du hast einen ziemlichen Tumult veranstaltet - verständlicherweise, natürlich.«
    »Bestimmt hat er mich gehört!«, rief die junge Frau. »Ich muss mit ihm reden!« Dominic hörte sie aus der Wanne steigen. Dann wurde heftig mit einem Badetuch gerubbelt, und nackte Füße patschten über den Badezimmerboden.
    »Ich
kann das Dom am Morgen erklären«, sagte seine Mutter, doch die nackten Füße seiner Doch-nicht-Cousine liefen schon durch den Flur zum Gästezimmer.
    »Nein! Ich muss ihm etwas sagen!«, rief Rosie. Dominic hörte, wie eine Schublade aufging; in einem Schrank fiel ein Kleiderbügel herunter. Dann war die junge Frau in Doms Zimmer - sie öffnete einfach die Tür, ohne anzuklopfen, und legte sich neben ihn auf das Bett. Er spürte, wie ihre nassen Haare sein Gesicht berührten.
    »Ich habe dich gehört«, sagte er ihr.
    »Das wird schon wieder«, fing Rosie an. »Ich kriege schon noch ein anderes Baby, eines Tages.«
    »Hast du Schmerzen?«, fragte er sie. Er wandte sein Gesicht im Liegen von ihr ab, weil es schon zu lange her war, dass er die Zähne geputzt hatte - er befürchtete, Mundgeruch zu haben.
    »Dass ich das Baby haben wollte, wird mir erst jetzt klar, wo ich es verloren habe«, sagte Rosie gerade. Ihm fiel nichts Vernünftiges dazu ein. Sie sprach weiter. »Was du zu mir gesagt hast, Dominic, war das Netteste, was je ein Mensch zu mir gesagt hat. Ich werde es nie vergessen.«
    »Ich würde dich wirklich heiraten - ich habe das nicht nur so

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