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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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zu Hilfe kam! Nun, falls das geschähe, hätte der Cowboy nichts dagegen. Für Carl zählte nur, alle beide zu töten und wieder in den usa zu sein, bevor die Leichen entdeckt wurden. (Mit ein wenig Glück war der Cowboy schon vorher wieder im Coos County.)
    Der alte Sheriff machte sich ein wenig Sorgen wegen der mexikanischen Putzfrau, deren Kommen und Gehen unberechenbarer war als das des Kochs - oder als die nicht minder regelmäßigen Gewohnheiten seines Schriftstellersohns. Verglichen mit Lupita, die plötzlich auftauchte, um eine Waschmaschine anzuwerfen oder sich zwanghaft über die Küche herzumachen, war selbst Ketchums Tagesablauf einigermaßen gleichförmig. Der Holzfäller verbrachte täglich zwei Stunden in einem Tae-Kwon-Do-Studio an der Yonge Street. Das Studio hieß Champion Centre, und Ketchum war zwei Jahre zuvor zufällig darauf gestoßen; der Cheftrainer war ein ehemaliger iranischer Ringer und heutiger Boxer und Kickboxer. Ketchum sagte, er wolle seine »Trettechnik« verbessern.
    »Herrje«, hatte der Koch geklagt. »Weshalb sollte ein dreiundachtzigjähriger Mann einen neuen Kampfsport lernen wollen?«
    »Das ist eher eine
Mischung
verschiedener Kampfsportarten, Cookie«, erklärte ihm Ketchum. »Dabei geht's um Boxen und Kickboxen - und um Raufen auch. Ich interessiere mich bloß für neue Methoden, um einen Kerl zu Boden zu kriegen. Wenn ich ihn erst mal am Boden habe, weiß ich schon, was ich mit ihm machen muss.«
    »Aber
warum,
Ketchum?«, rief der Koch. »In wie viele Schlägereien willst du denn noch verwickelt werden?«
    »Genau darum geht's ja, Cookie - von
wollen
kann keine Rede sein. Man muss
bereit
sein!«
    »Herrje«, wiederholte Dominic.
    Danny kam es vor, als sei Ketchum ständig und schon immer mit Kriegsvorbereitungen beschäftigt. Ketchums Weihnachtsgeschenk an den Schriftsteller, die Winchester Ranger, mit der Danny drei Hirsche erlegt hatte, schien das noch zu unterstreichen.
    »Was soll ich denn mit einem Gewehr, Ketchum?«, hatte Danny den alten Holzfäller gefragt.
    »Zugegeben, ein großer Jäger bist du nicht, Danny, und vielleicht schießt du nie wieder einen Hirsch«, begann Ketchum, »aber jeder Haushalt sollte eine Flinte haben.«
    »Jeder Haushalt«, wiederholte Danny.
    »Na schön, vielleicht besonders
dieser
Haushalt«, räumte Ketchum ein. »Du musst eine leicht handhabbare, rasch einsetzbare Waffe griffbereit haben - eine, mit der du garantiert nicht danebenschießt, wenn es drauf ankommt.«
    »Wenn es drauf ankommt«, wiederholte der Koch und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
    »Ich weiß nicht, Ketchum«, sagte Danny.
    »Nimm die Flinte einfach, Danny«, gab der Holzfäller zurück. »Und achte darauf, dass sie immer geladen ist - schieb sie unter dein Bett, da liegt sie sicher.«
    Die ersten beiden Schuss waren Schrotpatronen, wie Danny wusste - der dritte war das Flintenlaufgeschoss. Er hatte die Winchester dankbar angenommen - nicht nur Ketchum zuliebe, sondern auch weil er wusste, dass es seinen Vater ärgern würde. Danny konnte Ketchum und seinen Dad gut gegeneinander ausspielen.
    »Meine Güte«, fing der Koch wieder an. »Jetzt, wo ich weiß, dass wir ein geladenes Gewehr im Haus haben, werde ich keine Minute mehr schlafen!«
    »Ich hab nichts dagegen, Cookie«, sagte Ketchum. »Ich würde sogar sagen, das wäre
ideal-
wenn du keine Minute mehr schläfst, meine ich.«
    Gewehrkolben und Vorderschaff der Winchester Ranger waren aus Birkenholz, die Gummischaftkappe lag jetzt an Dannys Schulter. Danny musste sich eingestehen, dass er gern zuhörte, wenn sein Dad und Ketchum sich stritten.
    »Verdammt noch mal, Ketchum«, sagte der Koch gerade. »Eines Nachts steh ich noch auf, weil ich pinkeln muss, und werde von meinem eigenen Sohn erschossen - weil er mich für den Cowboy hält!«
    Danny lachte. »Nun macht mal 'n Punkt, ihr zwei - es ist
Weihnachten!
Lasst uns versuchen, fröhliche Weihnachten miteinander zu verbringen«, sagte der Schriftsteller.
    Doch Ketchum war nicht fröhlich gestimmt. »Danny wird dich schon nicht erschießen, Cookie«, sagte der Holzfäller. »Ich will nur, dass ihr
bereit
seid!«
     
    »in-uk-schuk«, sagte Danny manchmal im Schlaf. Charlotte hatte ihm beigebracht, wie man das indianische Wort aussprach; oder sollte man in Kanada eher Inuit-Wort sagen? (Danny hatte auch schon den Begriff Inuk-Wort gehört, wusste aber nicht, was richtig war.) Charlotte hatte das Wort
Inuksuk
oft gesagt.
    Als Danny am Morgen des zweiten

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