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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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beklagt, dass Danny die Haustür am Cluny Drive beim Nachhausekommen häufig abzuschließen vergaß. Doch das mochte auch daran liegen, dass der Koch meist später als sein Sohn nach Hause kam und nicht gern mit dem Schlüssel herumhantierte und die Haustür lieber erst kurz vor dem Zubettgehen abschloss.
    »Aber Wein macht müde, stimmt's, Danny?«, hatte der Waldarbeiter gefragt. »Wahrscheinlich ist das Haus meistens nicht abgeschlossen, wenn du nachts einschläfst - ehe dein Dad heimkommt.«
    »Haufenweise Elchscheiße, wie du sagen würdest, Ketchum«, hatte Danny erwidert.
    So machte man es nun mal in Toronto, erklärten der Koch und sein Sohn dem Flößer. Danny und sein Dad hatten einander schon aus dem Haus ausgesperrt, was ausgesprochen lästig war. Wenn sie jetzt ausgingen, schlossen sie das Haus am Cluny Drive nicht ab; erst wenn beide abends wieder im Haus waren, schloss derjenige die blöde Tür ab, der zuletzt ins Bett ging.
    »Der Rotwein macht mir ein wenig Sorgen, Danny«, hatte Ketchum dem Schriftsteller gesagt. »Nach Rotwein schläfst du wie ein Murmeltier - du hörst gar nichts.«
    »Wenn ich nur Bier trinke, mache ich die ganze Nacht kein Auge zu«, entgegnete Danny.
    »Das klingt schon etwas besser, finde ich«, mehr hatte Ketchum dazu nicht gesagt.
    Doch der Rotwein war nicht das Hauptproblem. Klar, gelegentlich trank Danny mehr als ein, zwei Gläser, und davon wurde er müde. Aber der Wein spielte bei dem Verhängnis nur eine Nebenrolle, und der neue Name des Restaurants hatte gar nichts damit zu tun. Das Problem war - nach all ihren Bemühungen, dem Cowboy zu entwischen, samt den ominösen Namensänderungen, die sich als sinnlos erwiesen -, dass Carl Ketchum einfach gefolgt war.
     
    Der Cowboy hatte sich Ketchum schon früher an die Fersen geheftet, doch danach war er so klug gewesen wie zuvor. Carl war dem Holzfäller zweimal auf dessen Jagdausflügen nach Quebec gefolgt, in einem Winter sogar die ganze Strecke bis nach Pointe au Baril Station; der jüngere Mann, mit dem Ketchum dort übernachtete, war vermutlich irgendein Hinterwäldler aus Ontario, nahm er an. Der Cowboy hatte keine Ahnung gehabt, wer Danny war oder was Danny machte. Carl hatte sogar gemutmaßt, Ketchum sei vielleicht »schwul« und der jüngere Mann der Geliebte des alten Holzfällers! Bei diesen Ausflügen war kein kleiner hinkender Kerl aufgetaucht, und Carl hatte es im Grunde aufgegeben, Ketchum zu folgen.
    Ein Wort sollte alles ändern - dieses eine Wort und die Tatsache, dass Ketchum und der Cowboy ihre Autoreifen bei derselben Firma in Milan wechselten. Reifen, besonders Winterreifen, waren im Norden New Hampshires wichtig. Twitchell's hieß die Firma, zu deren Kunden Ketchum und der Cowboy gehörten, allerdings war der Schmiermaxe, der das entscheidende Wort aussprach, ein Kanadier namens Croteau.
    »Sieht aus wie Ketchums Karre«, hatte Carl zu ihm gesagt - das war etwa eine Woche vor Weihnachten, und der Cowboy hatte bemerkt, dass Ketchums Pick-up in Twitchell's Werkstatt auf der Hebebühne stand. Croteau wechselte alle vier Reifen.
    »Jau«, sagte Croteau. Dem Exhilfssheriff fiel auf, dass der Kanadier Ketchums Spikereifen abnahm und durch Winterreifen ohne Spikes ersetzte.
    »Hat Ketchum einen Insidertipp bekommen, dass es ein milder Winter wird?«, wollte Carl von Croteau wissen.
    »Nö«, antwortete Croteau. »Er mag nur das Geräusch nicht, das Spikes auf der Interstate machen, und von hier nach Toronto fährt er hauptsächlich Interstate.«
    »Toronto«, wiederholte der Cowboy, doch nicht dieses Wort sollte alles ändern.
    »Ketchum macht die Spikes wieder drauf, sobald er nach Weihnachten wieder zu Hause ist«, erzählte Croteau dem Hilfssheriff, »aber für die Autobahn braucht man keine Spikes - auf den Interstates reichen gewöhnliche Winterreifen.«
    »Ketchum fährt über Weihnachten nach Toronto?«, fragte Carl den Kanadier.
    »Solange ich zurückdenken kann«, antwortete Croteau, was nach Carls Schätzung noch nicht sehr lange war. Croteau war Anfang zwanzig; Reifen wechselte er erst, seit er die Highschool beendet hatte.
    »Hat Ketchum in Toronto eine
Freundin?
'«, fragte Carl. »Oder vielleicht einen Freund?«
    »Nö«, antwortete Croteau. »Ketchum sagt, er hat da oben Familie.«
    Das Wort
Familie
änderte alles. Der Hilfssheriff wusste, dass Ketchum keine Familie hatte - jedenfalls nicht in Kanada. Und was er an Familie hatte, hatte der alte Holzfäller verloren; jeder wusste, dass Ketchum

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