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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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aufgewacht. Es war einer der Abende, wo aus den angeblichen ein, zwei Gläsern Rotwein zum Essen in Wirklichkeit vier oder fünf geworden waren. Nachts wurde Danny einmal wach und dachte, er werfe besser einen Blick unters Bett, um sich zu vergewissern, dass die Flinte noch da war; dabei fiel er mit einem dumpfen
Wumm
aus dem Bett, was weder sein Dad noch der schnarchende Holzfäller hörten.
    Nach Weihnachten blieb Ketchum nie lange in Toronto. Ein Jammer, dass er Hero nicht mitgebracht und den Hund - aus welchem Grund auch immer - bei dem Koch und seinem Sohn gelassen hatte, als er zurück in die Staaten fuhr. Carl hätte weder das Haus am Cluny Drive betreten noch sich in dem Schreibzimmer im zweiten Stock verstecken können, falls Hero, das brave Tier, dort gewesen wäre. Doch der Hund war im Coos County, bei Sixpack-Pam - deren Hunde er terrorisierte, wie sich herausstellte -, und Ketchum brach früh am nächsten Morgen nach New Hampshire auf.
    Als Danny (noch vor seinem Dad) aufstand, fand er den Zettel, den Ketchum auf dem Küchentisch zurückgelassen hatte. Zu Dannys Überraschung war er sauber getippt. Ketchum war nach oben ins Schreibzimmer gegangen und hatte dort die Schreibmaschine benutzt, aber Danny hatte weder das Knarren der Dielen über seinem Schlafzimmer noch die knarrenden Treppenstufen gehört. Und weder ihn noch den Koch hatte das Klappern der Schreibmaschine geweckt - kein gutes Zeichen, wie ihnen der alte Holzfäller hätte sagen können. Doch in Ketchums Nachricht stand nichts dergleichen.
     
    von euch kerlen hab ich jetzt erst mal genug!
    mir fehlt mein hund, und den hole ich jetzt ab. wenn ich wieder zu hause bin, werdet ihr mir auch fehlen! halt dich beim rotwein zurück, danny. ketchum
     
    Carl war froh, als er Ketchums Pick-up abfahren sah. Bestimmt wurde der Cowboy allmählich ungeduldig, doch er wartete, bis die mexikanische Putzfrau gekommen und wieder gegangen war; damit hatte sich auch dieses Problem erledigt. Nun, wo das Gästezimmer leer war- nach Lupitas Einsatz war es so gut wie neu-, stand für Carl fest, dass Ketchum nicht wiederkommen würde. Doch der Cowboy musste noch eine weitere Nacht warten.
    Am Abend des 27. Dezember aßen der Koch und sein Sohn zu Hause. Dominic hatte beim Metzger eine Kielbasa-Wurst entdeckt, sie in Olivenöl gebräunt und anschließend samt gehacktem Fenchel, Zwiebeln und Blumenkohl in einer Tomatensauce mit zerdrückten Fenchelsamen geschmort. Zu diesem Eintopf reichte der Koch einen warmen, frischen Laib Rosmarin-Oliven-Brot und einen grünen Salat.
    »Das hätte Ketchum gefallen, Paps«, bemerkte Danny.
    »Tja, also - Ketchum ist ein guter Mensch«, sagte Dominic zum Erstaunen seines Sohns.
    Da Danny nicht wusste, wie er reagieren sollte, versuchte er es mit weiteren Komplimenten über den Kielbasa-Eintopf; er deutete an, die Speise könnte vielleicht auf die schlichtere, bistromäßige Speisekarte im neuen Kiss of the Wolf passen.
    »Nein, nein«, widersprach der Koch, »Kielbasa ist zu rustikal - sogar für das Kiss of the Wolf.«
    Worauf Danny nur entgegnete: »Es schmeckt gut, Dad. Ich finde, du könntest es auch bei Hof auftischen.«
    »Ich hätte es für Ketchum kochen sollen - für ihn hab ich es nie gemacht«, sagte Dominic.
    Am letzten Abend seines Lebens aß der Koch mit seinem geliebten Daniel in einem portugiesischen Lokal in der Nähe von Little Italy. Es hieß Chiado und war eins von Dominics Lieblingsrestaurants in Toronto. Arnaud hatte ihn mal dorthin eingeladen, als sie beide noch im Stadtzentrum an der Queen Street West arbeiteten. An diesem Donnerstagabend, dem 28. Dezember, aßen Danny und sein Dad Kaninchen.
    Während Ketchums Weihnachtsbesuchs hatte es geschneit und geregnet - alles war gefroren und getaut und dann wieder gefroren. Als der Koch und sein Sohn schließlich vom Chiado ein Taxi nach Hause nahmen, schneite es zur Abwechslung mal wieder. (Dominic fuhr nicht gern in der Innenstadt.) In dem verharschten alten Schnee auf der Feuertreppe im Freien waren die schwachen Schuhabdrücke des Cowboys schon tagsüber kaum zu sehen gewesen; jetzt, wo es dunkel war und schneite, lagen Carls Spuren ganz und gar unter Schnee. Der Excop hatte seinen Parka und die Stiefel ausgezogen. Er hatte sich auf das Sofa in Dannys Schreibzimmer gelegt, den 45er-Colt an seinen Brustkorb gepresst - so wie er sich die weiteren Ereignisse vorstellte, brauchte der alte Sheriff kein Holster.
    Aus der Küche drangen die Stimmen des Kochs und seines

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