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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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hatte sie an jenem Tag gesagt, als der Holzfäller den Koch in Boston abholte. Und zu Dominic: »Falls du mich je wiedersehen willst -«
    »Ich weiß«, hatte der Koch erwidert, ohne sie dabei anzusehen.
    Jetzt, wo Danny die Asche seines Vaters nach Twisted River 579 brachte, hatte Ketchum darauf bestanden, dass der Schrift steller Carmella mitnahm. Als Danny Angelus Mom kennenlernte, waren dem Zwölfjährigen ihre großen Brüste, die breiten Hüften, das breite Lächeln aufgefallen - und er hatte gewusst, dass nur Carmellas Lächeln größer und breiter war als das von Indianer-Jane. Carmella war mindestens so alt wie Ketchum, wenn nicht sogar etwas älter; sie musste inzwischen Mitte achtzig sein. Sie war komplett weißhaarig - sogar die Augenbrauen waren weiß, ein auffälliger Kontrast zu ihrem südländischen Teint und ihrer offensichtlich stabilen Gesundheit. Carmella war ausgesprochen mollig, aber dennoch femininer, als Jane je gewesen war. Und egal, wie glücklich sie mit dem neuen Kerl in ihrem Leben war - Paul Polcari und Tony Molinari wurden nicht müde zu betonen, dass sie es war -, so hatte sie doch ihren Nachnamen behalten, vielleicht aus Pietät ihrem Mann, dem Fischer, und ihrem einzigen Kind gegenüber, die beide ertrunken waren.
    Auf der langen Fahrt nach Norden hatte Carmella weder um ihren geliebten Angelù geweint noch mehr als einen Kommentar zum Tod des Kochs abgegeben. »Ich habe meinen lieben Gamba schon vor Jahren verloren, Secondo - jetzt hast auch du ihn verloren!«, hatte Carmella mit Tränen in den Augen erklärt. Aber sie hatte sich rasch wieder gefangen, und auf der restlichen Strecke gab Carmella durch nichts zu erkennen, dass sie auch nur daran dachte, wohin sie unterwegs waren und warum.
    Carmella verwendete für Dominic weiterhin seinen Spitznamen Gamba - so wie sie Danny Secondo nannte, als wäre Danny (in ihrem Herzen) immer noch ihr Ersatzsohn; offenbar hatte sie ihm längst verziehen, dass er sie in ihrer Badewanne ausspioniert hatte. Es wäre ihm natürlich nicht in den Sinn gekommen, so etwas heute noch mal zu machen, doch das sagte er Carmella nicht; stattdessen entschuldigte er sich ausdrücklich für sein damaliges schlechtes Benehmen.
    »Blödsinn, Secondo - vermutlich habe ich mich geschmeichelt gefühlt«, entgegnete ihm Carmella mit einer wegwerfenden Geste ihrer dicken Hand. »Ich hatte nur Angst, dass mein Anblick schlechte Folgen für dich haben würde und du dich deswegen dein Leben lang zu dicken, älteren Frauen hingezogen fühlen könntest.«
    Daraufhin fühlte sich Danny beinahe bemüßigt zu beteuern, dass er sich durchaus
nicht
zu solchen Frauen hingezogen fühle (und nie gefühlt habe), obwohl in Wahrheit - nach der außergewöhnlich zarten Katie - viele der Frauen in seinem Leben recht drall gewesen waren. Gemessen an den Hungerhaken in der aktuellen Frauenmode, dachte Danny, war sogar Charlotte - unbestreitbar die Liebe seines Lebens - übergewichtig.
    Wie sein Dad war auch Danny klein, und wenngleich er nicht auf Carmellas Kommentar reagierte, so fragte er sich doch, ob er sich vielleicht
wirklich
bei Frauen wohler fühlte, die größer und stämmiger waren als er. (Was gewiss nichts damit zu tun hatte, dass er Carmella in der Badewanne ausspioniert oder Indianer-Jane mit einer Pfanne getötet hatte!)
    »Bist du eigentlich mit jemandem zusammen - in einer festen Beziehung, meine ich«, fragte Carmella, nachdem sie etwa zwei Kilometer geschwiegen hatten.
    »Keine feste Beziehung«, antwortete Danny.
    »Wenn ich mich nicht verzählt habe, bist du fast sechzig«, sagte Carmella. (Danny war 59.) »Dein Dad hat sich immer gewünscht, dass du mit einer Frau zusammen bist, die zu dir passt.«
    »Das war ich auch, aber sie hat mich verlassen«, teilte Danny ihr mit.
    Carmella seufzte. Sie hatte ihre Melancholie mitgebracht und sie, ebenso wie ihre unausgesprochene Skepsis Danny gegenüber, seit Boston nicht abgelegt. Letztere war Danny so wenig entgangen wie Carmellas angenehmer Duft - entweder ein mildes und dezentes Parfüm oder ein anderer Duft, der so natürlich und verlockend war wie der von frischgebackenem Brot.
    »Außerdem«, fuhr Danny fort, »hatte mein Dad auch keine feste Beziehung - nicht, als er in meinem Alter und älter war.« Nach einer Pause, in der Carmella abwartete, ergänzte Danny: »Und Paps war nie mit einer Frau zusammen, die so gut zu ihm passte wie du.«
    Wieder seufzte Carmella, als wollte sie zugleich ihre Freude wie ihren Unmut

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