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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Verkäufer. »Auch 'n Halbblut ist ein Indianer!«
    Danny spürte, wie Carmellas Empörung zunahm - fast so körperlich wie ihr auf seinem Arm lastendes Gewicht. Er hatte sie schon beinahe aus der Tür des Sportgeschäfts bugsiert, als der Verkäufer ihnen etwas nachrief. »Dieser Ketchum ist ein untergegangenes Volk für sich!«, rief der Verkäufer. Dann, als hätte er sich eines Besseren besonnen, ergänzte er mit einer gewissen Besorgnis: »Sagen Sie ihm nicht, dass ich das gesagt habe.«
    »Vermutlich kauft Ketchum hier von Zeit zu Zeit ein, stimmt's?«, fragte Danny; er genoss es, dass der fette alte Verkäufer auf einmal Angst zeigte.
    »Sein Geld ist genauso gut wie jedes andere, oder?«, sagte der Verkäufer mürrisch.
    »Ich werd's ihm ausrichten«, versprach Danny und geleitete Carmella zur Tür hinaus.
    »Ist Mr. Ketchum Indianer?«, fragte sie Danny, als sie wieder im Auto saßen.
    »Keine Ahnung, vielleicht teilweise«, antwortete Danny. »Ich hab ihn nie gefragt.«
    »Meine Güte - ich habe noch nie einen
bärtigen
Indianer gesehen«, sagte Carmella. »Jedenfalls nicht im Film.«
     
    Sie verließen den Ort auf der Route 26 westwärts. Es gab da etwas, was sich Errol Cream Barrel & Chuck Wagon nannte, und einen offenbar tadellos gepflegten Campingplatz samt Trailerpark namens Saw Dust Alley. Sie kamen auch an der Umbagog Snowmobile Association vorbei. Das war's dann so ziemlich mit Errol. Danny bog an der Akers Pond Road nicht ab, sondern merkte sich nur, wo sie war. Bestimmt würden sie Ketchum am Morgen problemlos finden - Lost Nation hin oder her.
    Kurze Zeit später, es wurde gerade dunkel, fuhren sie an einer von einem hohen Zaun begrenzten Wiese vorbei. Natürlich las Carmella das Schild am Zaun laut vor: »>Bitte den Bison nicht belästigen« - also, meine Güte, warum sollte jemand so etwas tun?«, fragte sie, wie üblich entrüstet. Sie sahen aber keinen Bison - nur den Zaun und das Schild.
    Das Resort Hotel in Dixville Notch hieß The Balsams - in der warmen Jahreszeit eine Bleibe für Wanderer und Golfspieler, wie Danny annahm. (Und im Winter zweifellos für Skifahrer.) Es war riesig und an einem Montagabend weitgehend menschenleer. Danny und Carmella waren im Speisesaal praktisch allein. Nachdem sie das Essen bestellt hatten, seufzte Carmella tief. Sie trank ein Glas Rotwein, Danny ein Bier. Seit dem Tod seines Dads trank er keinen Rotwein mehr, obwohl Ketchum ihm wegen seines Entschlusses, nur noch Bier zu trinken, regelmäßig zusetzte.
»Jetzt
musst du nicht mehr aufhören, Rotwein zu trinken!«, hatte Ketchum ihn angeschrien.
    »Ist mir egal, wenn ich nicht mehr schlafen kann«, hatte Danny ihm entgegnet.
    Nachdem sie geseufzt hatte, schien Carmella zunächst die Luft anzuhalten, ehe sie sprach. »Es versteht sich wohl von selbst, dass ich alle deine Bücher gelesen habe - und zwar mehr als ein Mal«, fing sie an.
    »Wirklich?«, fragte Danny und gab sich ahnungslos, welchen Verlauf dieses Gespräch nehmen würde.
    »Natürlich!«,
rief Carmella. Weshalb ist jemand, der so glücklich ist, so böse auf mich?, dachte Danny, als Carmella fortfuhr: »Oh, Secondo - dein Dad war
so stolz
auf dich, dass du ein berühmter Schriftsteller bist und alles.«
    Jetzt war Danny dran mit Seufzen; er hielt ein, zwei Sekunden lang den Atem an. »Und
du?«,
fragte er sie, diesmal nicht so beiläufig.
    »Na ja, deine Geschichten und manchmal die Personen, die darin vorkommen, sind so - wie heißt das Wort doch gleich? -
unappetitlich«,
begann Carmella. Dann aber musste sie in Dannys Miene etwas entdeckt haben, was sie verstummen ließ.
    »Ich verstehe«, sagte er. Vielleicht sah Danny sie an, als wollte sie ihn interviewen, als wäre sie irgendeine Journalistin, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht hatte, und was auch immer Carmella
wirklich
von seinen Büchern halten mochte, auf einmal wollte sie es ihm lieber nicht sagen - nicht ihrem lieben Secondo, ihrem Ersatzsohn -, denn hatte das Leben ihn nicht ebenso sehr gebeutelt, wie es sie gebeutelt hatte?
    »Erzähl mir, was du gerade schreibst, Secondo«, platzte es plötzlich aus Carmella heraus, und sie schenkte ihm ein warmes Lächeln. »Du lässt dir mal wieder ziemlich viel Zeit zwischen zwei Büchern, nicht wahr? Verrat mir, was du im Schilde führst. Ich kann es kaum erwarten, zu erfahren, was als Nächstes kommt!«
     
    An der Bar sahen sich ein paar Männer noch eine Footballübertragung an, doch da waren Carmella und Danny bereits auf ihre Zimmer

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