Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
gegangen. Im Vertrauen auf seinen leichten Schlaf ließ Danny die Vorhänge offen - das Licht am frühen Morgen würde ihn wecken. Er brauchte sich eigentlich keine Sorgen zu machen, wie er Carmella am nächsten Morgen in die Gänge bringen sollte. Denn selbst wenn sie sich verspäteten, würde Ketchum auf sie warten, das wusste Danny. Er lag bei eingeschalteter Nachttischlampe im Bett, und dort, auf dem Nachttisch, stand auch die Dose mit der Asche seines Vaters. Es war seine letzte Nacht mit der Asche des Kochs, und er betrachtete sie - als würde sie jeden Moment anfangen zu reden oder ihm irgendeinen Hinweis auf die letzten Wünsche seines Vaters geben.
    »Tja, Paps, du hast zwar
gesagt,
dass du es so haben wolltest, aber hoffentlich hast du deine Meinung nicht geändert«, sagte Danny laut. Die Asche befand sich übrigens in einem ehemaligen Behälter für Arnos' New York Steak Spiee - eine Gewürzmischung, die laut Zutatenliste Seesalz, Pfeffer, Kräuter und andere Gewürze enthielt und die der Koch offenbar in seiner schicken Lieblingsfleischerei in Toronto bei ihnen um die Ecke gekauft hatte, weil auf dem Etikett der Name Olliffe stand.
    Danny hatte sich des Inhalts weitgehend, aber nicht komplett, entledigt. Nachdem er die Asche seines Vaters hineingetan hatte, war noch Platz gewesen, um auch etwas von der Gewürzmischung zurückzuschütten, was Danny auch getan hatte. Wenn ihn ein amerikanischer Zollbeamter nach dem Behälter befragt - oder ihn geöffnet und daran geschnuppert - hätte, hätte es immer noch wie Steakgewürz gerochen. (Der Pfeffer hätte den Zöllner vielleicht sogar zum Niesen gebracht!)
    Doch Danny hatte die Asche des Kochs durch den amerikanischen Zoll geschmuggelt, ohne kontrolliert zu werden. Jetzt setzte er sich im Bett auf, öffnete den Behälter und schnupperte vorsichtig an dessen Inhalt. Da Danny wusste, was er enthielt, hätte er den Inhalt nicht auf ein Steak streuen mögen, aber es roch dennoch nach Pfeffer, Kräutern und Gewürzen - der Inhalt sah sogar wie zerbröselte Kräuter mit diversen Gewürzen aus, nicht wie die Asche eines Menschen. Wie passend, dass die sterblichen Überreste eines Kochs in einer Dose Arnos' New York Steak Spiee untergebracht waren!
    Dominic Baciagalupo, dachte sein Sohn, der Schriftsteller, hätte sich darüber womöglich köstlich amüsiert.
    Danny machte seine Nachttischlampe aus und lag nun im Dunkeln im Bett. »Letzte Chance, Paps«, flüsterte er in das stille Zimmer. »Wenn du keinen anderen Vorschlag machst, geht's zurück nach Twisted River.« Doch die Asche des Kochs, wie auch die Kräuter-und-Gewürz-Mischung, blieb stumm.
     
    Einmal hatte Danny Angel zwischen zwei Romanen elf Jahre verstreichen lassen - zwischen
Jenseits von Bangor
und
Baby auf der Straße.
Erneut brachte ihn ein Todesfall in der Familie in Verzug, allerdings hatte Carmella unrecht, wenn sie behauptete, der Schriftsteller lasse sich mal wieder »ziemlich viel Zeit zwischen zwei Büchern«. Seit der Veröffentlichung seines letzten Romans waren erst sechs Jahre vergangen.
    So wie auch nach Joes Tod fand Danny den Roman, an dem er gerade schrieb, nach der Ermordung des Kochs auf einmal belanglos. Doch dieses Mal kam er gar nicht auf die Idee, das Buch zu überarbeiten - er warf es einfach weg, komplett. Und er hatte fast sofort einen neuen und völlig anderen Roman begonnen. Das neue Buch entstand nach den Monaten, in denen man ihm den letzten Rest seiner Privatsphäre genommen hatte; der Roman glich einer Landschaft, aus der sich der Nebel ganz plötzlich und vollständig verzog.
    »Der Medienrummel war grauenhaft«, hatte Carmella beim Abendessen freimütig gesagt. Doch diesmal hatte Danny mit dem Medienrummel gerechnet. Schließlich war der Vater eines berühmten Schriftstellers umgebracht worden, und der Autor persönlich hatte den Mörder erschossen - wenn auch unbestritten in Notwehr. Mehr noch, Danny Angel und sein Dad waren fast 47 Jahre lang auf der Flucht gewesen. Der international bekannte Bestsellerautor hatte die Vereinigten Staaten verlassen und war nach Kanada gezogen, aber
nicht
aus politischen Gründen - genau wie Danny immer behauptet hatte, ohne die wahren Umstände zu verraten.
    Selbstredend sagten etliche Journalisten in Amerika, der Koch und sein Sohn hätten sofort zur Polizei gehen müssen. (Hatten sie nicht mitbekommen, dass Carl damals die Polizei
war?)
Natürlich zeigte sich die kanadische Presse empört darüber, dass »amerikanische Gewalt« dem

Weitere Kostenlose Bücher