Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Angels neuen Roman für ein Kochbuch halten! Danny erzählte nichts mehr über das Buch; um Carmella zu besänftigen, verriet er ihr, wem er es widmete. »Meinem Vater Dominic Baciagalupo -
in memoriam.
« Das wäre dann die zweite Widmung für seinen Vater, was die Gesamtzahl der
In-memoriam-
Widmungen auf vier erhöhte. Wie zu erwarten, brach Carmella in Tränen aus. In ihren Tränen lag eine gewisse Geborgenheit, sie waren vertraut und tröstlich; Carmella wirkte fast glücklich, wenn sie weinte, oder wenigstens wurde ihr Unmut über Danny durch ihre Trauer ein wenig gemildert.
    Als Danny jetzt im Bett lag, ohne große Hoffnung, einschlafen zu können, fragte er sich, warum er sich so bemüht hatte, Carmella klarzumachen, was er schrieb. Warum hatte er sich so ins Zeug gelegt? Klar, sie hatte danach
gefragt,
sie hatte sogar behauptet, sie könne es
kaum erwarten
zu erfahren, worum es in dem nächsten Buch ging! Doch da Danny schon lange Geschichtenerzähler war, wusste er, wie man das Thema wechselt.
    Während er sich - ganz sachte - in den Schlaf treiben ließ, stellte Danny sich den Sohn (den dilettantischen Sous-Chef) in der Küche nach Feierabend vor, wo ihm der Geist seines Vaters Anweisungen erteilte. So ähnlich wie Ketchum, ehe er lesen lernte, erstellt der Sohn Listen von Wörtern, die er sich nur mühsam merken kann; in dieser Nacht befasst sich der Sohn wie besessen mit Pasta.
»Orecchiette«,
notiert er sich, »heißt >Ohrchen<. Sie sind klein und scheibenförmig.« Nach und nach wird der Sous-Chef zum Koch - falls es nicht zu spät ist, falls ihm das Restaurant seines toten Vaters mehr Zeit zum Lernen lässt!
»Far-falle«,
schreibt der leicht zurückgebliebene Sohn, »heißt >Schmet-terlinge<, aber mein Dad nannte sie auch Fliegen, wie die Fliegen, die man sich um den Hals bindet.«
    Im Halbschlaf war Danny bei dem Kapitel angelangt, wo der Geist des Kochs ein sehr persönliches Wort an seinen Sohn richtet. »Ich wollte
unbedingt,
dass du heiratest, eigene Kinder hast. Du wärst ein großartiger Vater! Aber dir gefällt die Sorte Frau, die...«
    Die
was?,
dachte Danny. Zu dem Personal des verwunschenen Restaurants war eine neue Kellnerin gestoßen; sie ist genau »die Sorte Frau«, vor der der Geist des Kochs seinen Sohn warnen möchte. Doch endlich war der Schriftsteller eingeschlafen; jetzt erst hörte die Geschichte auf.
     
    Die polizeilichen Ermittlungen zur Schießerei in Toronto waren beendet; sogar die vorlautesten Medienrüpel gaben endlich Ruhe. Schließlich lag das Blutbad knapp neun Monate zurück - nicht ganz so lange, wie eine Schwangerschaft dauerte. Nur in Dannys Post wurde die Debatte fortgesetzt - in den
Beileidsb
riefen und deren Gegenteil, wie auch immer man sie nennen mochte.
    Danny las zwar jedes einzelne Wort, doch den Brief, auf den er wartete, hatte er weder bekommen, noch rechnete er ernsthaft damit, je wieder von Lady Sky zu hören. Was Danny nicht davon abhielt, von ihr zu träumen - von dem vertikalen rotblonden Schamhaarstreifen, der leuchtend weißen Narbe ihres Kaiserschnitts, den Geschichten hinter ihren Tätowierungen. Der kleine Joe hatte ihr den Namen einer Superheldin gegeben, aber war Lady Sky tatsächlich eine Kriegerin - oder war sie einmal eine gewesen, in einem früheren Leben? Danny konnte sich nur vorstellen, dass Amy einmal ein ganz anderes Leben geführt hatte. Musste einem nicht etwas widerfahren sein,
bevor
man nackt aus einem Flugzeug sprang? Und was kann einem noch widerfahren,
nachdem
man gesprungen ist?, fragte sich Danny.
    Dass Amy ihm einmal, nach Joes Tod, geschrieben hatte und dass auch sie ein Kind verloren hatte - das war eine der verpassten Anschlüsse des Lebens, nicht wahr? Warum sollte sie ihm je wieder schreiben, da er ihr nie zurückgeschrieben hatte? Doch in der schwindenden Hoffnung, je wieder von Amy zu hören, hatte Danny seine Post gelesen, jeden einzelnen Brief - aber keinen einzigen beantwortet. Danny wusste nicht einmal, was er von ihr hören wollte, doch er konnte sie nicht vergessen.
    »Falls du je in Schwierigkeiten steckst, komme ich wieder«, hatte Lady Sky dem kleinen Joe versprochen und den Zweijährigen auf die Stirn geküsst. »In der Zwischenzeit passt
du
auf deinen Daddy auf.« So viel zu den Versprechen von Engeln, die aus dem Himmel fallen, allerdings musste man fairerweise zugeben, dass Amy ihnen gesagt hatte, sie sei nur »manchmal« ein Engel. Tatsächlich, und das hielt sich in Dannys Träumen besonders

Weitere Kostenlose Bücher