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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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einen, der meine Bären für mich zerlegt, wenn ich ihm etwas von dem Fleisch abgebe«, hatte Ketchum Danny erzählt, »aber meistens, besonders wenn es warm ist, räuchere ich den Bären vorher.« Dem strengen Geruch nach zu urteilen wurde da mit Sicherheit ein Bär geräuchert, dachte Danny. Vorsichtig öffnete er die Fahrertür, immer auf der Hut vor Hero, weil er annahm, der Hund verstünde sich vielleicht als Wächter des Bären. Doch weder aus einer der Hütten noch hinter einem von etlichen Autowracks tauchte ein Hund auf.
    »Ketchum!«, rief Danny.
    »Wer will das wissen?«, hörten sie Ketchum rufen, ehe sich die Tür des Wanigan mit dem Ofenrohr öffnete. Rasch stellte Ketchum das Gewehr beiseite.
    »Ihr seid ja weniger spät dran, als ihr vorher vermutet hattet!«, rief er ihnen freundlich zu. »Schön, Sie wiederzusehen, Carmella«, sagte er dann beinahe galant.
    »Es ist schön,
Sie
zu sehen, Mr. Ketchum«, sagte sie.
    »Kommt doch auf einen Kaffee rein«, forderte Ketchum sie auf. »Und bring Cookies Asche mit, Danny - ich will sehen, in was du sie abgefüllt hast.«
    Auch Carmella war auf den Behälter neugierig. Ehe sie den Wanigan betraten, mussten sie an dem stechend riechenden Bärenfell auf der Leine vorbei, und Carmella schaute weg; der Kopf hing noch an dem Pelz, aber mit der Nase nach unten, fast bis auf den Boden, und eine helle Blutblase hatte sich gebildet und war geronnen. Wo das Blut aus den Nasenlöchern getropft war, glich es nun einer an dem Kopf des toten Tieres hängenden Christbaumkugel.
    »Arnos' New York Steak Spiee«, las Ketchum laut vor, während er die Dose in der Hand hielt. »Tja, eine wirklich gute Wahl. Wenn du keine Einwände hast, Danny, kippe ich die Asche in ein Glasgefäß - den Grund wirst du sehen, wenn wir da sind.«
    »Nein, keine Einwände«, sagte Danny. Er war sogar erleichtert; er hatte sich nämlich überlegt, dass er die Gewürzdose aus Plastik gern behalten würde.
    Ketchum hatte den Kaffee so gemacht, wie man ihn früher in den Wanigans aufkochte. Er hatte Eierschalen, Wasser und gemahlenen Kaffee in eine Röstpfanne gegeben und alles auf dem Holzofen zum Kochen gebracht. Angeblich banden die Eierschalen den Kaffeesatz; man konnte den Kaffee abgießen, und der größte Teil des Satzes blieb in der Pfanne bei den Eierschalen. Der Koch hatte diese Methode als unsinnig verworfen, aber Ketchum machte seinen Kaffee immer noch so. Er war stark und wurde von Ketchum mit Zucker serviert, ob man Zucker haben wollte oder nicht - stark, süß und ein wenig sämig, »wie türkischer Kaffee«, bemerkte Carmella.
    Sie versuchte krampfhaft, sich nicht in dem Wanigan umzusehen, doch das verblüffende (wenn auch gutorganisierte) Chaos war zu verlockend. Danny, typisch Schriftsteller, stellte sich lieber vor, wo das Faxgerät stand, statt es zu suchen. Doch ihm fiel nebenbei auf, dass das Innere des Wanigan im Grunde nichts weiter als eine große Küche war, wo ein Bett stand, in dem Ketchum (vermutlich) schlief - umgeben von Gewehren, Pfeilen und Bögen und einem Haufen Messern. Danny nahm an, dass es noch andere Waffen gab, die er nicht sah, wenigstens die eine oder andere Handfeuerwaffe, denn der Wanigan fungierte auch als Waffenlager - als rechne Ketchum damit, eines Tages angegriffen zu werden.
    Fast versteckt zwischen all den Gewehren und Flinten, dort, wo sich der Walker Bluetick wohl am heimischsten fühlte, lag ein mit Zedernspänen gefüllter Leinensack. Carmella stöhnte auf, als sie Hero auf dem Hundebett liegen sah, auch wenn die Wunden des Jagdhundes zwar auffällig, aber nicht besonders schwer waren. Die Klauen des Bären hatten auf seiner weißen, blaugrau gesprenkelten Flanke Spuren hinterlassen. Die Blutung war inzwischen gestillt, und die Wunden an Heros Hüffe waren verschorft, doch der Hund hatte über Nacht in sein Bett geblutet; er sah aus, als wäre er starr vor Schmerzen.
    »Ich hatte gar nicht gemerkt, dass Hero ein halbes Ohr fehlte«, sagte Ketchum. »Gestern hat er so geblutet, dass ich dachte, das Ohr wäre noch da. Erst als die Blutung am Ohr nachließ, sah ich, dass es zur Hälfle weg war!«
    »Meine Güte -«, setzte Carmella an.
    »Solltest du ihn nicht zum Tierarzt bringen?«, fragte Danny.
    »Hero ist kein Freund von Tierärzten«, sagte Ketchum. »Auf dem Weg zum Fluss bringen wir Hero bei Sixpack vorbei. Pam hat irgendeine Schmiere, die man bei von Klauen verursachten Wunden aufträgt, und für das Ohr habe ich ein Antibiotikum. Und das

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