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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Selbstvertrauen aus ihr herausgeprügelt. »Vielleicht möchtest du heute Nacht gern den Elchen beim Tanzen zusehen«, sagte sie zu Ketchum. »Vielleicht könnten wir beide - zusammen mit Danny und Carmella - heute zelten gehen. Oben am Kochhaus wird es eine schöne Nacht werden, und wir beide, Ketchum, könnten noch ein paar zusätzliche Schlafsäcke auftreiben, nicht wahr?«
    »Scheiße«, sagte Ketchum. »Wir haben's hier mit einem nicht erklärten Krieg zu tun, und du willst den Elchen beim Tanzen zusehen! Heute Nacht nicht, Sixpack. Außerdem müssen Danny und ich noch ein paar ernste Dinge besprechen. Im The Balsams drüben in Dixville Notch gibt's doch bestimmt eine Bar und eine Glotze, oder?«, fragte er Danny.
    »Ich will nach Hause«, sagte Carmella. »Ich will zurück nach Boston.«
    »Heute Nacht nicht«, wiederholte Ketchum. »Die Terroristen haben's nicht auf Boston abgesehen, Carmella. Zwei der Flugzeuge sind in Boston gestartet. Wenn sie Boston angreifen wollten, hätten sie es längst getan.«
    »Morgen fahre ich dich zurück nach Boston«, sagte Danny zu Carmella; er konnte Sixpack nicht ansehen, die völlig verzweifelt wirkte.
    »Lass mir den Hund hier - ich kümmer mich um Hero«, sagte Pam zu Ketchum. »Im The Balsams sind Hunde nicht gestattet - und du solltest dort übernachten, Ketchum, weil du was trinken wirst.«
    »Solange du zahlst«, sagte Ketchum zu Danny.
    »Natürlich zahle ich«, sagte Danny.
    Alle Hunde waren durch die Hundetür in den Trailer gekommen und drängten sich in der Küche. Seit Ketchums »eine
Myriade!«-
hatte keiner mehr gebrüllt, was die Hunde angesichts der vielen Menschen, die sich in Sixpacks kleiner Küche drängten, ganz konfus machte.
    »Lass dir keine krummen Eier wachsen, Hero - morgen komme ich wieder«, sagte Ketchum zu dem Jagdhund. »Hast du heute nicht Nachtdienst im Krankenhaus?«, fragte er Sixpack.
    »Den kann ich verschieben«, sagte sie teilnahmslos. »Sie mögen mich im Krankenhaus.«
    »Tja, Scheiße - ich mag dich auch«, sagte Ketchum verlegen, doch Sixpack schwieg; sie hatte ihre Chance verpasst, dachte sie. Pam konnte nichts weiter tun, als ihren schmerzenden Körper schützend zwischen die beiden Kinder (die zu einer der jungen Frauen gehörten) und den völlig übergeschnappten Schäferhund zu schieben. Sixpack wusste, dass sie größere Chancen hatte, die Kinder vor dem bissigen Hund zu schützen, als Ketchum zu überreden, wieder mit ihr zusammenzuleben. Der Flößer hatte zwar angeboten, ihre Hüftgelenksoperation zu bezahlen - in diesem piekfeinen Krankenhaus in der Nähe von Dartmouth -, doch Pam hatte den Verdacht, dass Ketchums Großzügigkeit vor allem von seinem schlechten Gewissen herrührte, weil er den Cowboy nicht getötet hatte, und nicht daher, dass er immer noch etwas für sie empfand.
    »Alle raus. Ich will meine Küche wiederhaben, und zwar
sofort«,
sagte Sixpack plötzlich. Sie wollte nicht vor einem Haufen Fremder zusammenbrechen. Alle bis auf eine von Pams Tölen, wie Ketchum sie nannte, marschierten zur Hundetür hinaus, ehe ihnen Sixpack »Ihr nicht« nachrufen konnte. Doch die Hunde waren den Alle-raus-Befehl gewohnt und verschwanden schneller als die beiden Frauen mit ihren Kindern oder der alte Henry, der ehemalige Sägewerker mit den Fingerstummeln.
    Nur der wahnsinnige Deutsche Schäferhund und Hero ignorierten Pams Kommando und hielten in verschiedenen Ecken der Küche die Stellung; sie hatten ein Macho-Patt erreicht. »Keinen Stress mehr von euch beiden«, sagte Pam zu ihnen, »sonst prügle ich euch windelweich.« Doch sie hatte schon angefangen zu weinen, und ihrer Stimme fehlte das gewohnte Feuer. Die beiden Hunde hatten keine Angst mehr vor ihr; sie spürten, wenn eine andere Kreatur sich geschlagen gab.
     
    Die drei waren bereits unterwegs ins Motel, als Ketchum in dem nach Bär stinkenden Pick-up das Autoradio anmachte; Danny saß wieder in der Mitte und Carmella möglichst nahe an dem offenen Beifahrerfenster. Es war noch nicht 15 Uhr, doch Bürgermeister Giuliani hielt bereits eine Pressekonferenz ab. Als jemand ihn nach der Anzahl der Toten fragte, sagte Giuliani: »Ich glaube, darüber sollten wir nicht spekulieren - es sind mehr, als wir alle ertragen können.«
    »Das trifft es wohl ziemlich gut«, sagte Danny.
    »Und du trägst dich mit dem Gedanken, wieder hierherzuziehen - stimmt's?«, fragte Ketchum plötzlich Danny. »Hab ich dich nicht sagen hören, es gäbe für dich eigentlich keinen

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