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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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triftigen
Grund
mehr, in Kanada zu bleiben, und dass es dich wieder in dein Heimatland zieht? Hast du dich nicht kürzlich mir gegenüber beklagt, du
fühltest
dich eigentlich nicht als Kanadier - und schließlich bist du hier geboren, du
bist
wirklich Amerikaner, oder etwa nicht?«
    »Wird wohl so sein«, antwortete Danny; ihm war klar, dass er bei Ketchums Befragungen vorsichtig sein musste. »Ich
wurde
hier geboren, und ich
bin
Amerikaner. Zwar habe ich die kanadische Staatsbürgerschaft, doch ich bin dadurch nicht Kanadier geworden«, fuhr er energischer fort.
    »Tja, was wiederum zeigt, wie dumm ich bin - ich bin nämlich einer dieser begriffsstutzigen Kerle, die glauben, was sie lesen«, sagte der alte Flößer listig. »Weißt du, Danny, ich mag zwar lange gebraucht haben, um lesen zu lernen, aber heutzutage lese ich ziemlich gut - und gar nicht wenig.«
    »Worauf willst du hinaus, Ketchum?«, fragte ihn Danny.
    »Ich dachte, du wärst
Schriflsteller«,
antwortete Ketchum. »Irgendwo habe ich gelesen, du hieltest Nationalismus für einengend^ Ich glaube, du sagtest so etwas wie, alle Schriftsteller seien >Außenseiter< und du sehest dich als jemanden, der von außen hineinschaut.«
    »Das habe ich tatsächlich gesagt«, gab Danny zu. »Allerdings war es ein Interview - es gab einen
Kontext...«
    »Scheiß
auf den Kontext!«, rief Ketchum. »Wen kümmert's, dass du dich nicht als Kanadier
fühlst?
Wen juckt's, ob du Amerikaner bist? Als Schriftsteller
solltest
du Außenseiter sein - du solltest draußen bleiben und von draußen reinschauen.«
    »Du meinst, ein Exilant«, sagte Danny.
    »Dein Land geht vor die Hunde - und zwar seit geraumer Zeit«, teilte ihm Ketchum mit. »Du kannst das besser erkennen und besser darüber schreiben, wenn du in Kanada bleibst - das weiß ich genau.«
    »Wir wurden angegriffen, Mr. Ketchum«, sagte Carmella leise; sie war nicht mit dem Herzen bei der Sache. »Gehen wir vor die Hunde, weil wir
angegriffen
wurden?«
    »Was zählt, ist, wie wir mit dem Anschlag umgehen«, antwortete Ketchum. »Wie wird Bush reagieren? Kommt es nicht vor allem darauf an?«, fragte er Danny, doch der war Ketchums Pessimismus nicht gewachsen. Schon immer hatte Danny die Fähigkeit des ehemaligen Flößers unterschätzt, die Dinge bis zum schlimmstmöglichen Ende zu durchdenken.
    »Bleib in Kanada«, forderte ihn Ketchum auf. »Wenn du im Ausland lebst, siehst du, was drüben in den ollen usa stimmt und was nicht - und zwar klarer und deutlicher.«
    »Ich weiß, dass du das glaubst«, sagte Danny.
    »Die armen Menschen in den Türmen...«, begann Carmella, verstummte aber. Auch Carmella war Ketchums Pessimismus nicht gewachsen.
    Um vier Uhr nachmittags saßen die drei in der Bar des Hotels The Balsams und sahen fern, als der Sprecher auf cnn sagte, es gebe »ernstzunehmende Hinweise« darauf, dass der saudiarabische Extremist Osama bin Laden, der verdächtigt werde, 1998 die Bombenangriffe auf zwei amerikanische Botschaften koordiniert zu haben, in die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon verwickelt sei - der Sprecher berief sich dabei auf »neue und konkrete« Informationen.
    Anderthalb Stunden später, nachdem Ketchum vier Bier und drei Schnäpse getrunken hatte und während Danny noch an seinem dritten Bier saß, meldete cnn, laut den US-Behörden könne das in Pennsylvania abgestürzte Flugzeug drei mögliche Ziele gehabt haben: Camp David, das Weiße Haus oder das Kapitol in Washington.
    Carmella, die noch an ihrem zweiten Glas Rotwein nippte, sagte: »Ich tippe auf das Weiße Haus.«
    »Meinst du wirklich, ich sollte Sixpack
heiraten?«,
wollte Ketchum von Danny wissen.
    »Versuch doch mal, mit ihr zusammenzuleben«, schlug Danny vor.
    »Tja, das hab ich versucht - ein Mal«, erinnerte ihn Ketchum. »Ich fasse es nicht, dass Sixpack
Cookie
vögeln wollte! - Oh, Verzeihung!«, fügte er, aus Rücksicht auf Carmella, hinzu.
    Die drei gingen in den Speisesaal und nahmen ein üppiges Abendessen zu sich. Dass Danny beim Bier blieb, erzürnte Ketchum, doch zusammen mit Carmella leerte er zwei Flaschen Rotwein, und Carmella zog sich früh zurück. »Es war ein schwieriger Tag für mich«, sagte sie, »doch ich möchte Ihnen dafür danken, Mr. Ketchum, dass Sie mir den Fluss gezeigt haben - und für alles andere.« Carmella nahm an, dass sie Ketchum am Morgen nicht mehr sehen würde, und sie hatte recht; selbst wenn er getrunken hatte, stand Ketchum früh und immer früher auf. Beide

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