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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Herren boten an, Carmella zu ihrem Zimmer zu begleiten, doch davon wollte sie nichts wissen; sie ließ die zwei im Speisesaal allein, wo Ketchum umgehend die nächste Flasche Rotwein bestellte.
    »Ich werd dir nicht helfen, sie zu leeren«, teilte Danny ihm mit.
    »Ich brauche deine Hilfe nicht, Danny«, erwiderte Ketchum.
    Wenn man, wie Danny, ein Fliegengewicht war und nur Bier trank, hatte man das Problem, keinen Durst mehr zu haben, noch ehe man sich betrunken fühlte. Doch Danny war entschlossen, sich von Ketchum nicht zu Rotwein verleiten zu lassen. Danny war immer noch der Meinung, der Rotwein habe bei der Ermordung seines Vaters eine Rolle gespielt. An dem Tag, an dem die Asche des Kochs im Twisted River verstreut worden war, wollte Danny nicht das Gedenken an jene schreckliche Nacht mit Füßen treten, in der Carl Dannys Dad umgebracht und Danny alle drei Schuss aus der Winchester Ranger auf ihn abgefeuert hatte.
    »Du musst dich gehenlassen, Danny«, sagte Ketchum gerade. »Werd kühner.«
    »Ich bin Biertrinker, Ketchum - bei Rotwein passe ich.«
    »Herrgott noch mal - ich meine als
Schriftsteller!«,
sagte Ketchum.
    »Als
Schriftsteller?«,
fragte Danny.
    »Ständig sparst du die düstereren Themen aus«, sagte ihm Ketchum. »Du hast so eine Art, beim Schreiben das Wesentliche auszusparen und dich in den
Randbereichen
herumzudrücken.«
    »Ach ja?«, fragte ihn Danny.
    »Und ob! Wenn's unangenehm wird, hältst du dich raus«, stellte Ketchum fest. »Du musst deine Nase in die schlimmsten Ecken stecken und dir
alles
vorstellen, Danny.«
    Für Danny klang das damals weniger nach einer literarischen Kritik als nach einer Einladung, die Nacht im Fahrerhaus von Ketchums Pick-up zu verbringen - oder in der Räucherkammer bei dem gehäuteten, geräucherten Bären.
    »Was ist mit dem Bären?«, fragte Danny unvermittelt. »Geht das Feuer in der Räucherkammer nicht aus?«
    »Och, fürs Erste ist der Bär genug geräuchert, morgen kann ich das Feuer wieder anmachen«, antwortete ihm Ketchum ungeduldig. »Eine Sache noch - na gut,
zwei
Sachen. Erstens, in meinen Augen bist du kein Stadtmensch. Ich glaube, das Land ist die richtige Umgebung für dich - als Schriftsteller, meine ich«, sagte Ketchum nun sanfter. »Zweitens - was aber meiner Ansicht nach sogar wichtiger ist - kannst du jetzt auf dein Scheißpseudonym verzichten. Ich kann mich durchaus erinnern, dass du einmal vehement gegen einen Künstlernamen warst, und nun ist es, finde ich, an der Zeit, wieder deinen eigenen Namen anzunehmen. Für deinen Vater warst du immer
Daniel,
und ich habe dich mal sagen hören, Daniel Baciagalupo sei ein guter Name für einen Schriftsteller. Natürlich wirst du für mich Danny bleiben, aber, ich wiederhole, als
Schriftsteller
solltest du Daniel Baciagalupo sein.«
    »Ich kann mir denken, was meine Verleger davon halten werden«, meinte Danny. »Sie werden mich daran erinnern, dass Danny Angel ein berühmter Bestsellerautor ist. Sie werden mir sagen, Ketchum, dass ein unbekannter Schriftsteller namens Daniel Baciagalupo nicht so viele Bücher verkaufen wird.«
    »Ich sage dir nur, was für dich als Schriftsteller gut ist«, bemerkte Ketchum beinahe lässig.
    »Mal sehen, ob ich dich richtig verstanden habe«, sagte der Schriftsteller leicht gereizt. »Ich soll mich wieder in Daniel Baciagalupo umbenennen; ich soll in Kanada auf dem Land leben; ich soll mich gehenlassen - sprich, als Schriftsteller kühner sein«, zählte Danny brav auf.
    »Langsam kapierst du's, glaube ich«, sagte Ketchum.
    »Hast du sonst noch was zu empfehlen?«, fragte Danny.
    »So weit ich zurückdenken kann, waren wir eine Weltmacht im Niedergang«, sagte Ketchum geradeheraus; er meinte es ernst. »Wir sind eine >Lost Nation<,3 Danny. Hör auf, deine Zeit zu verplempern.«
    Die beiden Männer musterten einander über ihre jeweiligen Gläser hinweg - Danny zwang sich sowohl weiterzutrinken als auch, weiter Ketchum anzusehen. Danny liebte den alten Holzfäller, doch Ketchum hatte ihn gekränkt; darin war er wirklich gut. »Also, ich freue mich darauf, dich Weihnachten zu sehen«, sagte Danny. »Ist ja jetzt nicht mehr lange hin.«
    »Vielleicht nicht dieses Jahr«, sagte Ketchum.
    Danny wusste, dass er einen Schlag von Ketchums kräftiger rechter Hand riskierte, dennoch griff er nach dessen
linker
Hand und drückte sie auf den Tisch. »Lass es - tu's bitte nicht«, sagte Danny, doch Ketchum entzog ihm seine Hand mit Leichtigkeit.
    »Mach du nur deinen

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