Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
Doris Day ab - so unerwartet, wie die eigensinnige Tür zuvor
Secret Love
in die Nacht hinausgeschickt hatte -, und wieder herrschte Totenstille. Deutlich hörten Dominic Baciagalupo und Lucien Charest das nach Knöchelknacken klingende Geräusch, als Constable Carl seinen grotesken 45er-Colt spannte.
    »Herrje, Carl,
nicht..
.«, sagte Dominic, als der Constable auf den jungen Frankokanadier zielte.
    »Schaff deinen nackten Franzosenarsch wieder ins Haus, wo du hingehörst!«, brüllte der Constable. »Ehe ich dir die Eier abschieße und den Pimmel gleich mit!«
    Auf allen vieren hockend, pisste Lucien Charest direkt auf den Boden. Die Pisslache breitete sich rasch bis zu seinen schlammigen Knien aus. Der Frankokanadier drehte sich um und kroch, immer noch auf allen vieren, wie ein Hund in Richtung Wirtshaus, wo die Nichtsnutze, die den jungen Mann rausgeworfen hatten, ihn nun durch die Tür hineinzogen, als hinge sein nacktes Leben davon ab (was vermutlich der Fall war). Auf »Lucien! «-Rufe folgte französisches Kauderwelsch, zu schnell und aufgeregt, als dass der Koch oder der Constable irgendetwas hätten verstehen können. Sobald Charest wieder in der Kneipe in Sicherheit war, knipste Constable Carl seine Taschenlampe aus. Der absurde 45er-Colt war immer noch gespannt. Irritiert sah der Koch, dass der Colt, während der Cowboy ihn langsam entspannte, auf das Knie von Dominics gutem Bein gerichtet blieb.
    »Soll ich dich nach Hause bringen, kleiner Cookie?«, fragte Carl.
    »Es geht schon«, antwortete Dominic. Beide sahen bereits die Lichter des Kochhauses oben auf dem Hügel.
    »Wie ich sehe, schiebt meine süße Jane heute Abend wieder Spätschicht bei dir«, sagte der Constable. Ehe sich der Koch eine gescheite Antwort überlegen konnte, fuhr Carl fort: »Ist dein Junge nicht bald alt genug, um sich selbst ins Bett zu bringen?«
    »Daniel ist alt genug«, antwortete Dominic. »Ich lasse ihn aber nachts lieber nicht allein, und er mag Jane irre gern.«
    »Da sind wir schon zwei«, sagte Constable Carl und spuckte aus.
    Da sind wir schon
drei!,
dachte Dominic Baciagalupo, hielt aber den Mund. Er musste auch daran denken, wie Pam sein Gesicht zwischen ihre Brüste gedrückt und ihn beinahe erstickt hatte. Er schämte sich und hatte das Gefühl, Jane untreu gewesen zu sein, weil Pam ihn auch erregt hatte - auf eine seltsam lebensbedrohliche Weise.
    »Gute Nacht, Constable«, sagte der Koch. Er hatte schon ein paar Schritte gemacht, als der Cowboy ihn mit der Taschenlampe anleuchtete und dabei kurz den Weg vor ihm erhellte.
    »Gute Nacht, Cookie«, sagte Carl. Die Taschenlampe ging aus, aber der Koch spürte, dass der Constable ihm nachsah. »Für einen
Krüppel
bist du ziemlich gut zu Fuß!«, rief der Cowboy den dunklen Hügel hinauf. Auch das würde Dominic Baciagalupo nicht vergessen.
    Aus der Tanzhalle drang ein Songfetzen bis zu ihm, doch Dominic war inzwischen zu weit vom Ort entfernt, um den Text noch verstehen zu können. Nur weil er den Song schon so oft gehört hatte, wusste er, was es war - Eddie Fisher mit
Oh My Papa
-, und eine Weile später, das blöde Lied war längst verklungen, ertappte er sich dabei, wie er es vor sich hin sang.
    Der Koch wurde das Gefühl nicht los, dass der Constable ihm nach Hause gefolgt war. Eine Zeitlang stand Dominic Baciagalupo am Fenster des dunklen Speisesaals und hielt nach einer Taschenlampe Ausschau, die aus dem Ort den Hügel heraufkam. Doch wenn der Cowboy plante, den Geschehnissen im Kochhaus auf den Grund zu gehen, wäre nicht einmal er dumm genug, die Taschenlampe zu benutzen.
    Dominic ließ das Verandalicht neben der Küchentür an, damit Jane den Weg zu ihrem Pick-up sehen konnte. Er stellte seine schlammigen Stiefel neben die von Jane an den Fuß der Treppe. Der Koch überlegte, ob er vielleicht aus einem anderen Grund länger im Erdgeschoss geblieben war. Wie sollte er Jane seine Lippenverletzung erklären, und sollte er ihr von seiner Begegnung mit dem Constable erzählen? Müsste Jane nicht erfahren, dass Dominic den Cowboy angetroffen hatte und dass sowohl Constable Carls Verhalten als auch seine Gemütslage so rätselhaft und launisch waren wie eh und je?
    Der Koch konnte nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob der Constable irgendwoher
wusste,
dass Dominic gegenwärtig Janes »Galan« war, wie Ketchum es vielleicht formuliert hätte - in Anspielung auf die Liste der Wörter, die der Klosettleser einer anderen verbotenen Liebesgeschichte entnommen

Weitere Kostenlose Bücher