Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
nichts aus, uns vor Fremden und totalen Dumpfbacken nackt auszuziehen«, hatte sie ihm geantwortet. Vielleicht gehört das für Schriftsteller zum Beruf, dachte Danny Baciagalupo in dieser verregneten Frühlingsnacht in Iowa City. Er schrieb meistens nachts, wenn der kleine Joe schlief. Wirklich jeder außer Katie nannte den Zweijährigen Joe. (Wie der Oberkellner, nach dem er benannt worden war, war der Junge nie ein Joseph; der alte Polcari mochte Giuse lieber oder schlicht Joe.)
    Das mit dem Nacktsein vor Fremden und Dumpfbacken meinte Katie eher wörtlich - für ihre Person. Während Dannys viertem Studienjahr in Durham, als Katie mit Joe schwanger war, hatte sie immer noch für Aktzeichenkurse Modell gestanden und schlief damals mit einem der Studenten. Jetzt, in Iowa City - kurz vor Dannys Masterabschluss in Kreativem Schreiben am Autorenworkshop der University of Iowa -, stand Katie immer noch für Aktzeichenkurse Modell, doch diesmal schlief sie mit einem Professor.
    Aber sie zog nicht deshalb weg, erzählte sie ihrem Mann.
Sie
hatte Danny vorgeschlagen, ihn noch vor Studienabschluss zu heiraten und ein Kind zu bekommen. »Du willst doch nicht nach Vietnam, oder?«, hatte sie ihn gefragt.
    Eigentlich hatte er damals gedacht, dass er
doch
nach Vietnam wollte - aber nicht etwa, weil er politisch für den Krieg war, auch wenn er nie so politisch werden würde wie Katie. (Ketchum nannte sie eine »Scheißanarchistin«.) Danny Baciagalupo fand, er sollte
als Schriftsteller
nach Vietnam; er glaubte, er müsse den Krieg mit eigenen Augen sehen und wissen, wie das war. Sowohl sein Vater als auch Ketchum hatten ihm gesagt, diese Ideen seien nichts als ein Haufen Mist.
    »Ich hab dich nicht auf dieses verdammte Exeter gehen lassen, fort von mir, damit du in irgendeinem blöden Krieg stirbst!«, hatte Dominic geschrien.
    Ketchum hatte gedroht, Danny aufzusuchen und ihm ein paar Finger seiner rechten Hand abzuschneiden. »Oder gleich die ganze verdammte Hand!«, hatte Ketchum getobt, der sich in irgendeiner Telefonzelle die Eier abfror.
    Beide Männer hatten der Mutter des kleinen Dan versprochen, den Jungen nie in einen Krieg ziehen zu lassen. Ketchum drohte, sein Browning-Jagdmesser an Dannys rechter Hand zu testen, zumindest an den Fingern. Das Messer hatte eine dreißig Zentimeter lange Klinge, die Ketchum immer sorgfältig schärfte. »Oder ich schiebe eine Schrotpatrone in meine Flinte und schieße dir aus nächster Nähe ins Knie!«
    Da akzeptierte Daniel Baciagalupo lieber Katie Callahans Vorschlag. »Mach schon, schwänger mich«, hatte Katie gesagt. »Ich heirate dich und kriege dein Kind. Erwarte aber bloß nicht, dass ich allzu lange bleibe - ich bin keine Ehefrau, und ich bin auch kein Muttertier, aber wie man ein Kind kriegt, weiß ich. Es ist für einen guten Zweck - ein Mann weniger für diesen Scheißkrieg. Und du sagst, du willst
Schriftsteller
werden! Tja, dafür musst du doch wohl am Leben bleiben, stimmt's? Dumpfbacke!«
    Nie hatte sie ihn hinters Licht geführt, er wusste von Anfang an, woran er mit ihr war. Sie lernten sich kennen, als sie sich beide für einen Aktzeichenkurs auszogen. »Wie heißt du?«, hatte sie ihn gefragt. »Und was willst du werden, wenn du groß bist?«
    »Ich werde Schriftsteller«, sagte Danny, noch ehe er ihr seinen Namen nannte.
    »Es genügt, zu fühlen, dass man, ohne zu schreiben, leben könnte, um es überhaupt nicht zu dürfen«, sagte Katie Callahan. »Was hast du gesagt?«, fragte er sie.
    »Das ist von
Rilke,
Dumpfbacke. Wenn du Schriftsteller werden willst, solltest du ihn lesen«, sagte sie.
    Jetzt ließ sie ihn sitzen, weil sie (Zitat Katie) »einen anderen dummen Jungen kennengelernt habe, der glaubt, er sollte nach Vietnam gehen - nur um es zu sehen, verdammt!«. Katie wollte den anderen Jungen dazu bringen, sie zu schwängern. Dann, eines Tages, würde sie weiterziehen, »bis dieser Scheißkrieg vorbei ist«.
    Irgendwann würde ihr die Zeit davonlaufen; mathematisch gesehen war die Zahl Möchtegernsoldaten begrenzt, die sie auf diese Weise vor dem Krieg retten konnte. Männer wie Danny Baciagalupo nannte man »Kennedy-Väter«, weil Präsident Kennedy im März 1963 eine Präsidialverfügung erlassen hatte, wonach die Zurückstellung vom Wehrdienst für junge Väter erweitert wurde. Diese Regelung, dass man sich als Vater von der Einberufung zurückstellen lassen konnte, galt nicht lange, aber für den Schriftsteller Daniel Baciagalupo hatte es funktioniert.

Weitere Kostenlose Bücher