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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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als er einfach nicht schreiben konnte, es aber dennoch weiter versuchte.
    Danny fiel auch wieder ein, wie er im Vicino di Napoli in die hinterste Ecke der Küche gegangen war, damit sein Vater nicht sah, dass er selbst ebenfalls weinte - mittlerweile weinte auch Carmella, aber bei ihr war das ein Dauerzustand. Danny blieb noch einen Moment in der Küche, um ein Geschirrtuch anzufeuchten. Ohne dass Mr. Leary, der mit üblichem Enthusiasmus dem Rotwein zusprach, es merkte, wischte Danny den Trenchcoat seines Lehrers sauber. Das kreideweiße O' am Rücken ließ sich leicht auslöschen, leichter als der Rest dieses Abends.
    Nie würde Danny vergessen, wie er später in der Wohnung am Wesley Place des Nachts in seinem Zimmer lag und seinen Dad pausenlos weinen hörte - und Carmella, die mitweinte, während sie versuchte, ihn zu trösten.
    Schließlich hatte der Junge gegen die Wand zwischen ihren Schlafzimmern geklopft. »Ich liebe euch! Und ich komme oft nach Hause, jedes Wochenende, wenn ich kann!«
    »Ich liebe
dich!«,
flennte sein Dad zurück.
    »Ich liebe dich auch!«, hatte Carmella gerufen.
    Tja,
die
Szene konnte er nicht schreiben - die würde er nie richtig hinbekommen, sagte sich Daniel.
    Das Kapitel »Abreise ins Internat« war Teil des zweiten Romans des fünfundzwanzigjährigen Schriftstellers. Seinen ersten Roman hatte er gegen Ende seines ersten Jahres am Autorenworkshop der University of Iowa beendet und einen Großteil seines zweiten und letzten Jahres mit der Überarbeitung verbracht. In seinem letzten Studienjahr an der University of New Hampshire hatte er das Glück gehabt, dass ihn ein
writer-in-residence
des Englischen Seminars einem Literaturagenten vorstellte. Und seinen ersten Roman kaufte der erste Verlag, dem er angeboten wurde. Es sollten etliche Jahre vergehen, bis Daniel Baciagalupo begriff, was für ein Glück er damals hatte. Wahrscheinlich hatte kein anderer Student, der in jenem Jahr den Autorenworkshop abschloss, bereits einen Roman bei einem Verlag untergebracht. Einige der Studenten beneideten Danny deswegen. Doch er hatte nicht viele Freunde unter diesen Studenten; er war einer der wenigen, die verheiratet waren und ein Kind hatten, weshalb er auf ihren Partys kein Stammgast war.
    Danny hatte Ketchum von dem Buch geschrieben. Er hoffte, dass der Holzfäller es als einer der Ersten lesen würde. Der Roman würde nicht vor Dezember 1967 veröffentlicht werden, vielleicht auch erst im neuen Jahr, und obwohl er in New Hampshire spielte, versicherte Daniel seinem Dad und Ketchum, kämen sie nicht darin vor. »Er handelt weder von einem von euch beiden noch von mir - so weit bin ich noch nicht«, beruhigte er sie.
    »Kein Angel, keine
Jane?«,
hatte Ketchum gefragt. Er klang überrascht, vielleicht auch enttäuscht.
    »Es ist kein autobiographischer Roman«, hatte Danny ihnen geantwortet, und das stimmte.
    Vielleicht hätte Mr. Leary den Roman »ziemlich unnahbar« genannt, wäre der Gute noch am Leben gewesen, um ihn zu lesen, doch Mr. Leary war verstorben. Als Daniel an jenen Abend im Vicino di Napoli dachte, als es um den Exeter-Brief ging, fiel ihm ein, dass auch der alte Giuse Polcari gestorben war. Das Restaurant war inzwischen zweimal umgezogen - zuerst in die Fleet Street, dann an den North Square (wo es jetzt noch war) -, und Tony Molinari und Paul Polcari wechselten sich als Oberkellner ab, gönnten sich so eine Auszeit von der Küche. Dominic mit seinem Hinkebein war als Oberkellner ungeeignet, sprang aber als Chefkoch oder Küchenchef ein und übernahm auch immer, wenn Paul Polcari Oberkellner war, den Posten des Pizzabäckers. Wie eh und je war Carmella die beliebteste Kellnerin im Restaurant; und immer arbeiteten einige jüngere Frauen unter ihrer Aufsicht.
    In den Sommern, wenn Danny aus Exeter oder von der University of New Hampshire nach Hause kam - sprich: bis er Katie heiratete -, hatte er im Vicino di Napoli als Kellner gearbeitet, und wenn Paul oder Dominic mal einen freien Abend brauchten, sprang er als Pizzabäcker ein. Wäre Daniel Baciagalupo nicht Schriftsteller geworden, hätte er Koch werden können. In dieser Regennacht in Iowa, als er mit seinem zweiten Roman nicht besonders gut vorankam und der erste Roman noch nicht veröffentlicht war, war Danny so niedergeschlagen, dass er die Möglichkeit nicht ausschloss, irgendwann doch noch als Koch zu enden. (Falls das mit dem Schreiben nicht klappte, konnte er wenigstens kochen.)
    Für das kommende Studienjahr hatte

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