Letzte Rache: Thriller (German Edition)
waren. Bei jedem Halt wurden zwei oder drei weitere Menschen hinten in den Lastwagen geschoben. Es wurde ein wenig gerufen, es gab ein paar Schreie, aber keine echten Beschwerden und keinen Widerstand.
Als sie den Kai erreichten, war der Lastwagen voll. Der Fahrer verringerte die Geschwindigkeit, als er auf einen der Piers einbog. Durch eine Lücke in der Plane erhaschte Pettigrew einen Blick auf einen unverkennbaren Viermastschoner, die Dama Blanca . Die Weiße Dame war ein vertrauter Anblick in Valparaíso, weil sie das Segelschulschiff für die Kadetten an der nach Arturo Prat benannten Marineakademie der Stadt war. Er war sogar einmal selbst während eines Tags der offenen Tür Anfang 1972 an Bord gewesen. Besucher waren in der Bucht herumgefahren worden, hatten Rum ausgeschenkt und einen ziemlich langweiligen Vortrag über Arturo Prat und seine guten Werke zu hören bekommen.
Diesmal würde das Programm ohne Zweifel ein wenig anders aussehen.
Trotz alledem brachte Pettigrew ein Lächeln zustande, als er sich an Agustín Arturo Prat Chacón erinnerte. Prat war eine sehr chilenischeArt Held gewesen. Er war 1879 im Kampf gegen die Peruaner zwischen die Augen geschossen worden.
Fast hundert Jahre später trugen in Chile hundertzweiundsechzig Straßen den Namen des großen Mannes. In Valparaíso gab es auch eine Arturo-Prat-Statue. Nach allem, was man hörte, war Prat vom Liberalismus seiner Zeit sehr angetan. Seine Akademie sollte zukünftigen Marineoffizieren eine »wissenschaftliche, moralische, kulturelle und physische Ausbildung« angedeihen lassen. Pettigrew fragte sich, welchen Teil des Lehrplans sie heute Nacht behandeln würden.
Ihr Lastwagen rollte an einer Gruppe von ungefähr zwanzig Leuten vorbei, die vom Militär zusammengetrieben worden waren. Manche lagen mit dem Gesicht nach unten auf dem Kai, andere knieten. Alle hatten die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Ein halbes Dutzend bewaffnete Matrosen standen um sie herum, behielten sie im Auge, rauchten, erzählten sich ab und zu einen Witz. Über ihnen allen stand eine Gruppe von vielleicht dreißig Marinekadetten in
Habachtstellung auf dem Hauptdeck des Schiffs selbst, die genau hinschauten, obwohl sie ihren Blick fest auf einen unsichtbaren Punkt am tintenschwarzen Himmel gerichtet hielten.
Der Lastwagen kam langsam zum Stillstand, und die Plane am Heck wurde aufgeschlagen. Menschen stiegen von der Ladefläche hinunter, ohne dass man es ihnen sagen musste. »Ich hoffe, du kannst schwimmen«, scherzte einer der Soldaten, als Pettigrew von dem Lastwagen auf die kalten Pflastersteine sprang.
Sobald er leer war, fuhr der Lastwagen wieder los und verschwand in der Nacht, ohne Zweifel auf der Suche nach seiner nächsten Ladung Insassen. Pettigrew streckte sich und schaute sich um. Der Pier lag dunkel da, das einzige Licht kam von den Bullaugen des Schiffs und von den orangefarbenen Laternen oben in der Stadt. Er schauderte, als ihn eine kalte Meeresbrise traf. Er kniete sich, ohne den entsprechenden Befehl erhalten zu haben, auf dem Dock hin, weil er sich einfügen wollte. Die meisten seiner Mitreisenden taten es ihm nach. Er senkte den Kopf und wurde rasch dadurch belohnt, dass ihm ein Matrose mit seinem Gewehrkolben einen Stoß in den Nacken versetzte. Ohne ein Wort der Klage schaute er hoch und musterte seinen Peiniger sorgfältig. Der Mann war groß und blass, hatte dünne Handgelenke, einen kleinen Mund und grüne Augen. Seine Jacke war am Hals offen, und in seinem Mund hing eine nicht angezündete Zigarette. Er wich dem Blick des roten Priesters aus, nahm Pettigrews Existenz wahr und ging schweigend weiter. Pettigrew sah ihm dabei zu, wie er durch die Gruppe der Knienden schlenderte, wobei er gelegentlich einen beiläufigen Stoß austeilte, anscheinend genauso bei der Sache wie ein Mann, der seine Rosen beschneidet.
Es dauerte noch ungefähr weitere fünfzehn Minuten, bis die Gefangenen dem Kapitän des Schiffs übergeben wurden. Selbst in einer Zeit wie dieser schätzen wir Chilenen unsere Zeremonie, dachte Pettigrew. Er war beinahe überrascht, dass keine Blaskapelle zur Stelle war, die für eine musikalische Begleitung gesorgt hätte. Unter einem Hagel von Tritten, Schlägen und Flüchen wurden sie den Landungssteg hochgetrieben.
Auf dem Deck des Schiffs wurden ihm die Handfesseln abgenommen, und dann wurde ihm gesagt, er solle sich mit den Händen im Nacken hinhocken. Als die letzten Gefangenen an Bord schlurften, zählte er
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