Letzte Rache: Thriller (German Edition)
machte den Eindruck, als kümmere sich niemand um William Pettigrew.
Bis heute.
Ein weiterer Tritt rief ihn wieder in die Gegenwart zurück. Weitere Worte wurden ihm ins Ohr geflüstert.
»Du bist nicht nur ein Idiot, sondern auch ein Perversling.«
»Glaubst du, Gott kümmert sich darum, was mit Abschaum wie dir passiert?«
»Du hättest dich zurück nach England verpissen sollen, solange du die Möglichkeit dazu hattest.«
»Die Kirche schrickt vor Blut zurück, wir aber nicht.«
Nach ein paar weiteren Tritten und einigen Schlägen mit einem Gewehrkolben gegen den Kopfwurden Pettigrews Hände fest vor ihm zusammengebunden. Zwei Soldaten, die sorgfältig darauf achteten, dass nichts von der hellgrünen Farbe auf ihren Kampfanzug kam, schleppten ihn zu der Rückseite eines Lastwagens, dessen Ladefläche mit einer Abdeckplane versehen war. Halb gehoben, halb geschoben landete er drinnen. Dort befanden sich bereits vielleicht zehn oder zwölf andere Menschen, von denen er in der Dunkelheit niemanden erkannte. Sie wichen instinktiv vor ihm zurück, weil sie fürchteten, jede Verbindung könne ihre Lage nur verschlimmern. Er richtete sich auf und fand einen Platz in der Nähe der Heckklappe. Von draußen hörte man Rufen und Lachen. Im Lastwagen herrschte nur nachdenkliches Schweigen, das von einer großen Dosis Furcht durchsetzt war.
Fünf Minuten später wurde die Heckklappe geschlossen, und die Abdeckplane an der Rückseite des Lastwagens wurde heruntergezogen. Jemand rief dem Fahrer zu, dass sie bereit zur Abfahrt seien, und der Motor des Lasters erwachte grollend zum Leben. Nach ein paar Sekunden fuhren sie los und behielten eine stete Geschwindigkeit von nicht mehr als dreißig Stundenkilometern bei. Durch die Lücken in der Plane konnte Pettigrew nach hinten hinaussehen, dass ihnen eine Gruppe von drei Soldaten in einem Jeep mit geringem Abstand folgte. Einer stand neben einem im Heck des Jeeps montierten Maschinengewehr, für den Fall, dass jemand von ihnen beschließen sollte, das Risiko einzugehen und von dem Laster zu springen. Niemand tat das.
Es war klar, dass sie in südlicher Richtung fuhren, auf das Hafengebiet zu. Pettigrew war fast ein Jahr lang in Valparaísos Werft Las Habas das gewesen, was man einen »Arbeiterpriester« nannte, und kannte deshalb die Strecke gut. Er wusste auch, warum sie dorthin fuhren. Zwei Marineschiffe waren zwei Tage vor dem Sturz der sozialistischen Regierung in Valparaíso eingelaufen. Nachdem der Präsident Salvador Allende getötet worden war und man »Linke« aller politischen Schattierungen zusammengetrieben hatte, kursierten schnell Gerüchte, dass diese Schiffe als Auffangbecken für die Menschen fungierten, für die in den Gefängnissen kein Platz mehr gewesen war.
»Ein bisschen Seeluft – und freie Kost und Unterkunft«, hatte zu der Zeit jemand gewitzelt. »Deutlich besser als in der Londres«, hatte der Mann hinzugefügt, wobei er sich auf die Zentrale der kommunistischen Partei in Santiago bezog, die jetzt, wie jedermann wusste, als zentrale Folterkammer genutzt wurde.
Pettigrew hatte ihn misstrauisch angesehen.
»Wirklich wie ein kleiner Urlaub.«
Wirklich? Nun ja, sein Urlaub hatte hier begonnen.
Sie rollten langsam durch die Straßen. Die Stadt machte selbst für die Mitte der Nacht einen trostlosen Eindruck. Kein Licht brannte. Die Fenster waren geschlossen. Türen fest verriegelt. Die Menschen lagen zusammengekauert in ihren Betten, machten sich Sorgen, sie könnten die Nächsten sein, zermarterten ihr Gehirn nach irgendeinem Verhalten, irgendwelchen Worten, die zu einem Besuch mitten in der Nacht und zu einer Fahrt ohne Wiederkehr nach Las Habas führen könnten.
Sogar die Hunde, die gewohnheitsmäßig die Mülltonnen nach Fressbarem durchsuchten, hatten genug Verstand, sich die Nacht freizunehmen.
Im Innern des Lastwagens fing jemand an zu schluchzen. Ein anderer begann ruhig, das Vaterunser aufzusagen. Am Ende gab es zwei abgerissene Amén , von weiterem Schweigen gefolgt. Eine Frau neben Pettigrew packte ihren Rosenkranz derart fest, dass die Schnur riss, die Perlen zu Boden fielen und sich zwischen ihren Füßen zerstreuten. Sie warf Pettigrew einen Blick zu und zuckte mit den Achseln. Er sagte nichts. Sie wussten beide, dass es für Gott bei Weitem zu spät war.
Sie machten auf ihrem Weg vier weitere Zwischenstopps. Sie hielten vor Häusern an, die der Priester nicht wiedererkannte, holten Männer und Frauen ab, die ihm unbekannt
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