Letzte Rache: Thriller (German Edition)
Treppe hochgelaufen war, fühlte er sich nur ein bisschen außer Atem.
Amelia empfing ihn an der Tür. »Danke, dass Sie gekommen sind, Inspector«, sagte sie und lächelte.
»Kein Problem«, antwortete Carlyle, der versuchte, sein Keuchen unter Kontrolle zu bekommen. »Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.«
Sie machte eine unverbindliche Handbewegung. »Kommen Sie herein.«
Ein paar Minuten später saß er auf einem orangefarbenen Sofa in einem düsteren Wohnzimmer, das mit Sicherheit deprimierend genug war, der Begierde eines jeden einen Dämpfer zu verpassen. Er hielt einen gefährlich aussehenden Becher Kaffee in der Hand, auf dessen Oberfläche ein hauchdünner Film glänzte, einem Spülwasser ähnlich. Sam Laidlaw saß ihm in einem Sessel gegenüber und starrte wie das ungezogene Schulmädchen zu Boden, das sie im Grunde genommen war. Sie war zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig, verhielt sich aber wie ein Teenager. Ihrplatinblondes Haar passte zu ihrer ungesunden Haut. Es war an den Wurzeln herausgewachsen und musste dringend nachgefärbt werden. In einem schmuddeligen weißen T-Shirt, einer grauen Jogginghose und ohne Make-up sah sie echt scheiße aus. Es wäre so, als würde man eine Leiche ficken, dachte Carlyle. Andererseits, wenn man großzügig sein wollte, es war noch relativ früh. Für sie hatte die Arbeitswoche noch nicht begonnen.
Amelia erklärte Carlyle die Lage. Das Problem war ihm bekannt. Es ging um Michael Hagger, ein lokaler Minigangster, der sich zum Unternehmer gewandelt hatte, gelegentlicher Zuhälter und Vater von Sam Laidlaws vierjährigem Sohn Jake. Jacobs zufolge drohte Hagger damit, im Verlauf eines länger andauernden Streits um Geld den Jungen seiner Mutter wegzunehmen.
»Wo ist der Junge jetzt?«, fragte Carlyle, der sich plötzlich Sorgen machte, dass er diese Situation zu lange ignoriert haben könnte.
»Er ist zum Spielen verabredet«, erwiderte Amelia. »Und mittlerweile ist er auch im Kindergarten. Seit Ostern haben wir einen Platz in Coram’s Field. Drei Tage in der Woche.«
»Das ist gut«, sagte Carlyle lahm. Wenigstens kümmerte man sich einen Teil der Zeit vernünftig um den Jungen. Das Coram’s Field Play Centre lag fünfzehn Minuten die Straße hoch, auf dem Weg nach King’s Cross. Es wurde von der Bezirksverwaltung Camden betrieben, und die Kindergärtnerinnen dort leisteten hervorragende Arbeit mit einem breiten Spektrum von Kindern verschiedener Herkunft. Seine Tochter Alice hatte den Kindergarten zwei Jahre besucht, bevor sie auf die Schule ging, und ihre Mutter stattete ihm immer noch ab und zu einen Besuch ab, um Bücher, die sie nicht mehr brauchten, für die Bibliothek abzugeben. Er würde Helen von Jake erzählen und sie bitten, diskrete Erkundigungen einzuziehen.
Laidlaw blieb stumm. Sie hatte den Blick so weit vom Boden erhoben, dass sie konzentriert auf einen Bildschirm in der Ecke starren konnte. Carlyle nahm den Stapel DVD s auf dem Boden neben dem Fernseher unter die Lupe. Die Zeichentrickfilme Postbote Pat und Duck Dodgers schauten unter einem Haufen typischer Pornostreifen hervor. Carlyle musste einen Brechreiz unterdrücken. Von allem anderen abgesehen war er ein großer Fan von Duck Dodgers, Daffy Ducks Persona als Weltraumheld im 24½. Jahrhundert, weil er viele Folgen zusammen mit Alice gesehen hatte, als sie kleiner war. Jetzt hätte er am liebsten losgebrüllt. Er beruhigte sich ein wenig und dachte daran, dass er wirklich das Jugendamt würde anrufen müssen.
»Was kann ich für euch tun?«, fragte er.
»Reden Sie mit Hagger«, erwiderte Amelia. »Machen Sie ihm klar, dass Sie ihn im Auge haben.«
Als ob das etwas ausmachen würde.
»Okay«, sagte Carlyle und seufzte. »Wo kann ich ihn finden?«
Die junge Frau sagte wieder nichts.
»An den üblichen Orten«, sagte Amelia.
Das engte die Suche ein, dachte Carlyle. »Ich fange im Intrepid Fox an«, sagte er zu niemand Bestimmtem, womit er den Namen eines Pubs in Soho ins Spiel brachte, wo Hagger sich gerne aufhielt.
Es klingelte an der Tür. Ohne ein Wort zu sagen, stand die junge Frau auf und schlurfte aus dem Zimmer.
»Das dürfte der Halb-einser sein.« Amelia gab ihm durch ein Zeichen zu verstehen, dass er sich auf die Socken machen solle. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »Er ist zu früh. Der geile kleine Sack denkt offenbar, er kriegt auf diese Weise eine Verlängerung.«
»Wenn du in der Stimmung bist«, sagte Carlyle und grinste breit, »bist du in der
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