Letzte Rache: Thriller (German Edition)
Empfangstresen vorbei und musterte die übliche zusammengewürfelte Mischung von Bittstellern, die darauf warteten, auf die eine oder andere Art enttäuscht zu werden. Er nickte Sergeant Dave Prentice zu, der auf dem Ende eines Bleistifts herumkaute, während er irgendein Formular betrachtete, das vor ihm lag.
»Dave.«
Der diensthabende Sergeant zog den Stift aus dem Mund und schaute hoch. »John.« Er hatte den erschöpften Blick eines Mannes, der zu viel Zeit an der Front verbracht und versucht hatte, sich die Öffentlichkeit vom Leibe zu halten. Carlyle wusste wie jeder andere in der Station, dass er die Tage bis zu seinem sehnlich erwarteten Ruhestand in Theydon Bois zählte, einem Vorort am östlichen Ende der Central Line.
»Irgendwas Interessantes heute?«
»Eigentlich nicht.« Prentice wies mit einer Kopfbewegung zu einem kränklich aussehenden Mann, der in Kakihose und weißem Hemd auf einer der Bänke saß. »Der Typ da«, flüsterte er und grinste verstohlen, »behauptet, ein paar Schulmädchen hätten versucht, ihn in der National Gallery zu verprügeln.«
Carlyle schaute sich den Mann an. Es waren keinerlei Zeichen für einen Kampf an ihm zu sehen. »Wo sind die Schulmädchen?«
»Die sind abgehauen.«
»Das leuchtet ein.«
»Aber der Typ besteht darauf, Anzeige zu erstatten …« Prentice seufzte. »Was für ein Blödmann. Der kann eine Weile da sitzen bleiben. Ach egal, hast du von Dog gehört?«
»Nein. Was hat er jetzt schon wieder angestellt?«, fragte Carlyle. Walter Poonoosamy war ein ständiges Ärgernis im Viertel. Seinen Spitznamen verdankte er seiner bevorzugten Masche, mit der er Touristen anhaute, indem er sie um Bargeld zur Unterstützung seines fiktiven Haushunds bat, ein Labrador, der auf den Namen Lucky hörte.
»Man hat ihn gestern Nacht tot auf einer Kirchenbank in der Actors’ Church gefunden«, erklärte Prentice. »Der Pfarrer ist praktisch über ihn gestolpert, als er zumachte. Hat ihm offenbar einen ziemlichen Schreck eingejagt. Man nimmt an, es wäre ein Herzinfarkt gewesen. Er war erst vierundvierzig, was erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass er wie gut über sechzig aussah.«
»Das mag sein«, pflichtete Carlyle ihm bei. »Aber zumindest hat er die Quote geschlagen.«
Prentice schaute ihn zweifelnd an. »Wie meinst du das?«
»Ich habe irgendwo gelesen, dass die Lebenserwartung von Obdachlosen bei einundvierzig liegt. Wenn Dog es bis vierundvierzig geschafft hat, hat er das mit fast zehn Prozent übertroffen.«
Prentice zuckte mit den Achseln. »Man hat’s nicht leicht, aber leicht hat’s einen.«
»Ja«, sagte Carlyle, »so ist es.«
Oben wartete Joe auf ihn. Er mampfte ein Hühnchen-Sandwich, während er zwei Männern in Anzügen dabei zusah, wie sie den Raum zwischen den Schreibtischen mit Maßbändern aus Metall abmaßen.
Carlyle sah seinen Sergeant fragend an.
»Immobilienmakler«, erklärte Joe leise und steckte sich den Rest des Sandwichs in den Mund.
»Was?«, wollte Carlyle wissen. »Verkaufen wir die Station?«
»Wir kaufen sie.«
»Wie bitte?«
»Anscheinend«, sagte Joe, »wurde das Stationsgebäude vor mehreren Jahren als Teil eines gemischten Postens an einen Hedge-Fonds oder so was verkauft, und zwar im Rahmen eines Rückmietverkaufs. Mit der Verkaufssumme wurde ein schwarzes Loch in der Pensionskasse geschlossen. Jedenfalls kaufen wir das Haus jetzt, wo der Immobilienmarkt zusammengebrochen ist, wieder zurück. Der Police Review zufolge macht der Yard einen Gewinn von fünfzig Millionen Pfund.«
Carlyle beobachtete die beiden Männer, wie sie um eine Ecke verschwanden, um andere Dinge zu suchen, die sie vermessen konnten. »Besser als andersrum, nehme ich an. Aber wann sind wir aus Coppers zu Projektentwicklern geworden?« Er kratzte sich den Kopf. »Ist Henry Mills schon im Keller?«
»Ja.« Joe hatte seine Aufmerksamkeit inzwischen einem Schokoladen-Donut zugewandt, der dann in drei schnellen Bissen verschwand. »Er ist im Vernehmungszimmer sechs. Wir könnten anfangen.«
Carlyle, der den Beginn des Verhörs noch hinauszögern wollte, war mehr an Nahrungsaufnahme interessiert. »Ich werde mir was zum Essen holen«, sagte er. »Dann werde ich ein bisschen mit ihm plaudern. Trag in der Zwischenzeit alle Berichte zusammen, damit wir uns heute Nachmittag an die Durchsicht setzen können.«
»Wird gemacht.«
»Schon was von Bassett gehört?«
»Ja«, sagte Joe. »Er hat eine E-Mail mit seinen vorläufigen Ergebnissen geschickt.
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