Letzte Rache: Thriller (German Edition)
glücklich damit, die Kinder sich austoben zu lassen, nahmen auf einer Bank Platz und betrachteten die Aussicht, die sich ihnen nach Westen über die Spielplätze bis zur Londoner Zentralmoschee bot, in ungezwungenem Schweigen. Sie kannten sich so gut, dass sie es nicht nötig hatten, Small Talk zu machen. Ihre Beziehung reichte zurück bis zu ihrer Polizeiausbildung am Hendon College in den frühen Achtzigerjahren.
Dominic war ein waschechter, hundertprozentiger Cockney. Er kam aus East London und war ein Fan von West Ham United. Carlyle kam aus West London und unterstützte Fulham. Als sie das College verließen, wurden beide sofort zur Bekämpfung des bitteren Bergarbeiterstreiks abkommandiert. Sie hatten eine Menge Zeit damit verbracht, an der Streikpostenkette wie verrückt Speed einzuwerfen, das sie Dominics griffbereitem Vorrat an Amphetaminen verdankten. Sie waren beide Außenseiter gewesen, Provokateure, hatten unbequeme Fragen gestellt. Sie waren reizbare Mistkerle – aber zuverlässige reizbare Mistkerle, immer bereit, mehr als ihren Anteil an der Drecksarbeit zu tun, und mehr als glücklich, Überstunden zu machen. Das waren in ihrem Fall so viele Gemeinsamkeiten, dass sie während der Vierzehn-Stunden-Schichten fern von zu Hause zu guten Freunden wurden.
Sobald der Streik vorüber war, hatte Dom nicht mehr viel für das relativ geruhsame Leben eines Streifenpolizisten übrig. In ihm nagte ein Unternehmergeist, und am Ende hatte er einfach zu viel Elan, um bei der Polizei zu bleiben. Innerhalb eines Jahres nach dem Ende des Streiks verließ er die Metropolitan Police und machte sich selbstständig. In den ersten Tagen hatte er Carlyle einmal gefragt, ob er sich nicht mit ihm zusammentun wolle. Aber damals konnte Carlyle sich so wenig wie heute vorstellen, für einen Drogenhändler zu arbeiten. Selbst wenn er eher zwiespältig darüber dachte, was Dominic beruflich machte, wollte er bestimmt nicht darin verwickelt werden.
Im Lauf der folgenden Jahre hatten sich ihre Wege oft gekreuzt, manchmal zufällig, manchmal indem der eine an den anderen herangetreten war. Das war nicht sonderlich überraschend: Sie hatten viele gemeinsame Interessen angesichts der Art und Weise, wie Dominic Silver seinen Lebensunterhalt verdiente. Fast drei Jahrzehnte später war Carlyle ein unauffälliger Berufspolizist, während Dominic Silver innerhalb bestimmter Abteilungen der Metropolitan Police eine Art Großstadtlegende geworden war. Als Sohn und Neffe zweier Polizeibeamter war er der klassische Fall eines braven Jungen, der eine Wendung zum Bösen genommen hatte, aber mit einer Ehrlichkeit und einem Stil, der sogar vom kompromisslosesten Copper noch ein wenig Wohlwollen erfuhr. Selbst jetzt gab es in den Augen vieler Polizeibeamter immer noch einen Teil von Dom, der »einer von uns« blieb.
Andererseits gab es auch einen großen Teil von Dominic Silver, der sein Leben in Uniform längst hinter sich gelassen hatte. Inzwischen war Silver auf seinem beruflichen Höhepunkt angelangt und vielleicht in der dritten oder vierten Reihe der Drogenbarone von ganz London. Das war kein schlechter Platz, relativ gemütlich, weil er die Probleme vermied, mit denen sich jene über ihm auf der Leiter wie auch jene unter ihm konfrontiert sahen. Sein Unternehmen schlug jährlich vielleicht Millionenbeträge im einstelligen Bereich um, und sein Kundenkreis umfasste einige zweitrangige Prominente und neuere Eintragungen im Who’s who . Trotz der Rezession hatte er sogar zwei Firmenkunden, die immer noch auf Rechnung kauften.
Dominic hatte sein Unternehmen langsam aufgebaut, Schritt für Schritt, dabei immer Konflikte vermieden und Probleme nach Möglichkeit gelöst, ohne Gewalt anzuwenden. Während aus Jahren Jahrzehnte wurden, wuchs sein Ansehen. In einer Branche, wo es selten vorkam, dass jemand drei Jahre überlebte, kam es einem größeren Wunder gleich, wenn jemand beinahe drei Jahrzehnte überlebt hatte. Er war nie irgendeiner Straftat wegen verhaftet, geschweige denn verurteilt worden. Er war nicht durchgeknallt und ließ sich seinen Erfolg oder das sogenannte »leichte« Geld nicht zu Kopf steigen. Und er versuchte sich auch nicht an all dem fiesen, mit Drogen in Beziehung stehenden Mist, insbesondere Prostitution, moderner Sklaverei und Menschenschmuggel.
Mit anderen Worten, er war kein Durchschnittsverbrecher.
Entscheidend für seinen Erfolg war eine sehr pragmatische Einstellung zum Geld. Dominic hatte es nie deutlich gesagt,
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