Letzte Reise
Gerade sitzen. Gleichgewicht.
Die Blumen neigten sich zur Erde und starben. Die Dunkelheit drängte sich jeden Abend früher auf. Das Kind begann zu essen, die Amme kam nur noch zweimal am Tag.
Elizabeth besuchte ihre Söhne; sie logierte über einer Hafenwirtschaft und spazierte mit Nat die Klippen entlang, Hand in Hand. Die Geige lag beim Trompetenlehrer zu Hause, bereit, gespielt zu werden, wenn Nat der Schule einmal entrinnen konnte. Er beklagte sich nicht.
Von Zeit zu Zeit erschien Hugh Palliser. Sie tranken Tee am großen Tisch. Er sprach von seiner kranken Frau, und Elizabeth hörte zu, ohne sich über irgend etwas zu wundern. Daß er manchmal erwäge, sie mit einem Daunenkissen zu ersticken, sagte er das? Sie schnitt auf Ellys Grab das welke Laub weg, hockte in Kälte und Regen an dem kleinen Beet und merkte erst bei der Heimkehr, daß sie wie versteinert war. November, eine Gans im Ofen für Mary, für den Stiefvater – und wo blieb James? Nicht lange mehr, noch ein Weihnachten. Das Kind konnte sitzen und steckte sich eigenhändig einen Kanten Brot in den Mund. Sie gab acht, daß sich der Tisch nicht mit Plunder füllte, er erwartete James mit glänzend poliertem Holz.
Dann kam der Brief. Jamie und Nat, zu den Weihnachtsferien zu Hause, saßen in der Küche und aßen und schwatzten. Sie hatte das Kind ins Bett gelegt und kam gerade die Treppe herunter, als an die Tür geklopft wurde. Nat hatte schon aufgemacht, bevor sie unten war. Er hielt das schwere, versiegelte Paket in die Höhe und reichte es ihr. Sie erkannte die Handschrift.
»Lies vor!« rief Jamie. Er stieß Nat gegen die Schulter. »Da haben wir was zu erzählen, wenn wir zurückkommen!«
Einen Augenblick war sie in Verwirrung. Küche oder Stube? Allein oder mit den Jungen? Sie drückte den Brief an ihre Brust und blieb unentschlossen in der Tür stehen.
Sie betrachtete die vollgeschriebenen Seiten, ohne sie zu lesen. Das sah ja aus wie ein Tagebuch, das jeweilige Datum war zwischen die randvollen Zeilen gekritzelt. Die Handschrift, so bekannt, setzte mit der ihr vertrauten Regelmäßigkeit an, wurde aber weiter unten durch starke Schwankungen beeinträchtigt. Unlesbar winzig gekritzelte wechselten sich mit unbeherrscht ausufernden Buchstaben ab. Die Zeilen tanzten wie Wellen auf und ab, gekrönt von Ausrufungszeichen wie aufspritzender Gischt. Sie begann zu lesen.
7. August. Ich verfluche die Admiralität. Leck wie ein Weidenkorb ist dieses Schiff. Bei den ersten Schauern regnete es geradewegs in die Vorratskammern hinein. Durchweichte Mehlsäcke, der Boden klebrig vom aufgelösten Zucker. Mußte auf Teneriffa einen Zwischenstopp machen, um die schlimmsten Schäden zu reparieren und frischen Proviant einzukaufen. Was das Vieh hier an Bord jeden Tag frißt, ist unvorstellbar. Jede Ecke und jeden Winkel habe ich mit Heu und Hafer vollstauen lassen. Bei der ersten Bugwelle kann ich alles wegwerfen, verflucht. Wie soll ich diese elenden Viecher am Leben erhalten?
12. August. Zu schlafen will mir kaum gelingen. Ich liege in diesem lächerlichen Segeltuchschlauch, schaukle an Seilen über meinem Schreibtisch und horche auf die Tiere. Ein Pferd wiehert oder schnaubt, denkt man, doch ein Pferd in Not brüllt! Und ich höre diese riesenhaften Tiere in Todesangst toben, Nacht für Nacht. Sie erbrechen den halbverdauten Hafer, lange Speichelfäden hängen ihnen aus dem Maul. Ich ertrage das nicht. Der Schlafmangel macht mir zu schaffen, gestern habe ich das Schiff beinahe ins Verderben geschickt. Ich hatte Wache und unterhielt mich, an der Reling stehend, mit Anderson, dem Doktor. Das Schiff machte tüchtig Fahrt. Die See war dunkelblau. Ich fragte Anderson, ob ihm nicht ein Beruhigungsmittel für die Pferde einfalle. Johanniskraut ins Futter mischen, davon redeten wir. Plötzlich: Wellen, die sich an einem Riff brachen, zehn Meter vor uns! Nichts gesehen! Panik, ich schrie dem Steuermann zu, über Stag gehen, alle Mann an die Leinen. Heute noch Halsschmerzen vom Brüllen. Spitz wie Messer staken die Felsen aus dem Wasser. Sie hätten den Schiffsbauch aufgeschnitten wie eine Gans. Es fehlte nur eine Sekunde. Anderson wurde leichenblaß. Ich verstehe das nicht. Ich sehe immer alles. Boavista. Kapverdische Inseln. Ich weiß sehr wohl, daß sie dort liegen. Wenn nur die Pferde mal einen Moment aufhörten mit ihrem Gebrüll!
19. Oktober. Es ist, als seien wir versehentlich ans Kap gespült worden. Ich habe nicht das Empfinden, bewußt hierher
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