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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Kanu gekauft, ein prächtiges Boot, das er Der königliche George taufte. Sein Haus nannte er Britannien. Anrührend, ja.«
    Fürsorglichkeit, dachte Elizabeth. Väterliche Fürsorglichkeit. Warum machte sie das so wütend? James trug doch auch Sorge für seine eigenen Kinder, half ihnen bei ihrer Laufbahn, dachte an sie. Oder?
    »Der Transport der Tiere war eine große Belastung. Der Kapitän hielt es für außerordentlich wichtig, daß das mitgeführte Vieh über die verschiedenen Inseln verteilt wurde. Er hatte da ausdrückliche Vorstellungen. Auf der Insel, die sie Tonga nennen, ließen wir einen Bullen, eine Kuh, einen Hengst und eine Stute zurück. Der Kapitän war empört, als die Bevölkerung nach dieser großzügigen Schenkung eine Ziege stahl und einige Puten, die er für die kleineren Inseln rund um Tahiti vorgesehen hatte. Er ging mit aller Härte gegen die Diebe vor. Zu hart, fanden einige. Sie arbeiteten seinen Plänen entgegen, das war der Grund.
    Auf Tahiti erwartete uns eine große Enttäuschung. Wir hatten uns auf die ungläubige Begeisterung der Insulaner angesichts unserer Pferde gefreut, doch es stellte sich heraus, daß die Spanier bereits ein Jahr vor unserem Besuch Pferde hierhergebracht hatten. Sehr schöne, sehr große Pferde. Wir fügten unser Vieh dem Bestand hinzu. Die Überraschung war dahin, doch alle waren erleichtert, als die Tiere endlich für immer von Bord gingen. Die Mission des Königs war vollbracht. Übrigens wurden auch auf Tahiti zwei Ziegen gestohlen. Es brachte den Kapitän sehr in Rage.«
    King verstummte. Elizabeth wollte weiterfragen: Wie wütend war James gewesen, was tat er, um den Diebstahl zu rächen, warum unterbrach King seine Erzählung? Sie wartete. King trank seinen kalten Tee und blickte auf seine Schuhe.
    »Der Kapitän hatte ein starkes Pflichtgefühl. Die Eingeborenen verhielten sich für gewöhnlich freundlich gegen uns, doch dabei spielten zweifellos auch Phantasien, ja vielleicht sogar Pläne mit, von denen wir nichts ahnten. Sie wollten uns und unsere Macht in interne Zwiste einbeziehen und wurden böse, wenn wir das ablehnten; sie waren vielleicht auch neidisch auf unseren Reichtum. Wir mußten immer mit Bedrohung und Gefahr rechnen, mochte die Situation auch noch so entspannt aussehen. Der Kapitän fand es ratsam, von Zeit zu Zeit zu zeigen, wer der Überlegene ist.«
    Charlotte kam mit einem Tablett in die Stube und schenkte Madeira ein. »Darf ich auf das Andenken des Kapitäns trinken?« fragte King. Sie erhoben die Gläser.
    Was tue ich, dachte Elizabeth. Auf James trinken. Bin ich denn verrückt? So festlich ist mir nicht zumute. Er erzählt zwar viel, dieser King, aber mit großen Lücken dazwischen. Selektiv, genau wie die Herren von der Admiralität. Bin ich zu argwöhnisch? Vielleicht ist es unmöglich, eine dreijährige Reise binnen anderthalb Stunden zu schildern. Vielleicht gibt er sich die größte Mühe, bekommt es nur nicht hin.
    Der Alkohol hatte King offenbar neuen Mut gegeben.
    »Aus der Nordwestpassage, Ihr sagtet es bereits, ist nichts geworden. Auf dem Weg nach Norden kartierten wir freilich die Westküste Amerikas, so daß die Fahrt nicht fruchtlos genannt werden kann. Wir wurden vom Frost an der Weiterfahrt gehindert, konnten die Schiffe nur mit Mühe und Not aus dem Eis retten. Erschöpft und enttäuscht nahmen wir Kurs auf die Insel Hawaii, die wir auf dem Hinweg entdeckt hatten. Ihr wißt, wie unser Aufenthalt dort ausgegangen ist.«
    King schüttelte verzweifelt den kleinen Kopf.
    »Ihr spracht von Bedrohung, und ich fragte mich, ob es denn wohl klug war, den Aufenthalt auf den Inseln derart auszudehnen«, sagte Elizabeth leise. »Vielleicht wäre es anders verlaufen, wenn –«
    »Es hatte einen Grund, mehrere Gründe sogar.« Er fiel ihr ins Wort und sprach schneller.
    »Wir hatten zeitraubende Reparaturen durchzuführen, das wißt Ihr. Aber da war noch etwas. Der Kapitän wollte möglichst viele Fakten sammeln, die Licht in das Rätsel Südsee bringen konnten. Wie ist es möglich, daß auf diesen winzigen Tupfen Land, durch tausende Meilen Meer voneinander getrennt, überall dieselbe Sprache gesprochen, derselbe Typ Kanu gebaut, dasselbe Gewebe aus Baumrinde hergestellt wird? Er wollte über die Gegenstände hinaus, wollte Einblick in die Regierung des Landes, die Umgangsformen, die Religion gewinnen. Das geht nur bei einem längeren Aufenthalt. Der Kapitän bemühte sich, die Menschen kennenzulernen und zu beobachten. Er

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