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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Wochen kam Douglas aus Windsor. Bei diesen Gelegenheiten blühte Benny auf. Elizabeth sah sie zusammen flüstern, der Junge gestikulierte und nickte, sein Gesicht bekam Farbe.
    »Worum ging es denn?« fragte sie einmal nach dem Diner.
    »Was man studieren kann«, antwortete ihr jüngster Sohn. »Was man später werden kann. Pfarrer zum Beispiel. Ich darf mir Bücher von ihm ausleihen.«
    Gerne hätte sie den alten Organisten an ihrer Tafel gesehen, doch daran war nicht zu denken. Elizabeth besuchte ihn an den Tagen, da sie zu der kleinen Schule ging. Hartland lag im Bett. Er spielte nicht mehr. Vor seinem Haus war sie einmal einem jungen Mann begegnet, der ein Instrument in einem großen Futteral bei sich hatte. Er wollte gerade die Tür zuschlagen, als er Elizabeth erblickte.
    »Robert Hartland«, sagte er, ihr die Hand reichend. »Neffe des Alten. Ich habe für ihn gespielt. Er freut sich auf Euren Besuch. Darf ich Euch einmal zu einem Konzert einladen? Mein Onkel erzählte, Ihr liebt die Musik.«
    Robert spielte Cello in einem Londoner Orchester. Elizabeth war mit Isaac zu einer Aufführung gegangen. Es wurden Werke von Haydn gespielt, eine Sinfonie und eine Reihe langsamer Stücke für Streichorchester, die in ein gewaltiges Getöse mündeten, das ein Erdbeben darstellen sollte.
    »Und«, fragte Robert in der Pause, »brillant, nicht? Die Tinte ist noch naß! Es war ursprünglich ein Chorwerk, er hat es bearbeitet. Sieben Adagios. Daß er sich das traut! Ein großer Musiker, der größte. Wir versuchen, ihn nach London zu holen, aber der ungarische Fürst, bei dem er in Dienst ist, hält ihn fest und verlangt ihm alles ab. Er muß für diesen Esterházy jede Woche neue Kammermusik schreiben. Eine künstlerische Gefangenschaft ist das. Ausbeutung! Gleich kommt das Violinkonzert, da gehen einem die Ohren über.«
    So war es in der Tat gewesen. Der Konzertmeister hatte sich erhoben, frontal vor dem Orchester, und sie in die unermeßliche Höhe mitgenommen. Sie vergaß den Geruch der Menschen um sie her, das hörbare Atmen, das Herumgerutsche auf den harten Bänken. Als das Stück zu Ende war, hatte sie sich betrübt und zugleich dankbar gefühlt. Seither war Robert Hartland ein willkommener Gast an ihrem Tisch.
    »Müßtest du Palliser nicht mal einladen?« fragte Isaac. »Er möchte bestimmt wissen, wie es seinem Patenkind geht. So ein einsamer Mann in so einem großen Haus ist doch froh, wenn er mal herauskommt. Lade ihn ein. Oder soll ich ihm schreiben?«
    Sie stellte sich vor, wie sie in dem heiteren, hellen Eßzimmer zusammen am Tisch sitzen würden. All diese Loyalitäten, die Geheimnisse, der Betrug. Die Schauspielerei und die Wut dahinter. Sie hatte jetzt, dank Isaac, ein Dasein gefunden, das lebbar und auszuhalten war. Wenn sie sich bewußt machte, wie gnadenlos Palliser sie im Stich gelassen hatte, zerstörte sie sich alles, was sie jetzt gewonnen hatte. Er ist ein alter Mann, redete sie sich ein, er schämt sich, er empfindet sich als gescheitert, ist gekränkt. Er geniert sich für seinen gebrechlichen Körper. Ich muß Verständnis haben, Mitempfinden. Er vertraut mir nicht. Er schiebt mich beiseite, als wäre ich ein alter Stuhl. Und dann das andere, das Schwierige: James stehe zwischen uns, sagte er. Ich weigere mich, darüber nachzudenken.
    »Keine gute Idee«, sagte sie. »Lad lieber mal einen Kollegen von dir ein. Junge Menschen am Tisch, das wird auch Benny besser gefallen.«
    Doch im Grunde war ihr ein Rätsel, woran ihr Jüngster überhaupt Gefallen fand. Er lernte Latein, er las eifrig in den theologischen Schriften, die Douglas ihm gegeben hatte, und er sang auch in der neuen Schule im Chor. Manchmal hörte sie ihn in seinem Zimmer üben; seine hohe Stimme hatte einen metallischen Klang. »Bleib bei mir, Herr, der Abend bricht herein«, sang er. Aus unerklärlichen Gründen wurde ihr dabei sterbensbang.
    Er saldierte das Familienwappen, das Elizabeth 1785 verliehen worden war. Sie hatte das Recht, es an einer Kutsche zu führen, wenn sie eine Kutsche besaß. Ein unsinniger, übertriebener Ehrenerweis, fand sie. Auf azurblauem Untergrund lag die pazifische Halbkugel, gefangen im Netz der Längen- und Breitengrade. Eine rote Linie gab James' Weg an, endend auf Hawaii. Benny zeichnete das Wappen auf ein Blatt Papier ab. Oberhalb der Südsee ragte ein mit Lorbeer umkränzter Arm in Kapitänsuniform empor, der die englische Kahne schwenkte.
    »Circa orbem steht da«, sagte Benny. »Das heißt: Um

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